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Frauen seit 1922 im Schöffen- und Geschworenenamt

Von Ursula Sens und Hasso Lieber, PariJus gGmbH

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Abstract
Dass gesellschaftliche Veränderungen zugunsten von Frauen stets mit langem Atem erkämpft und immer wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt werden mussten, zeigt die Geschichte der Zulassung von Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamt sowie zum Richteramt im Jahr 1922. In der Weimarer Verfassung von 1919 bekamen Frauen formell die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie die Männer. Die Gleichberechtigung musste jedoch noch in Familie, Beruf und öffentlichem Leben umgesetzt werden.

The history of the admission of women to the office of lay judge and juror as well as to the office of professional judge in 1922 shows that social changes in favour of women have always taken a long time to achieve. They have had to be put on the political agenda time and again. In the Weimar Constitution of 1919, women were formally granted the same civic rights as men. However, equal rights had still to be implemented in the family, at work and in public life.

I. Der historische Tag: 25. April 1922

Ein kleiner Satz im Reichsgesetzblatt 1922, Nr. 33 markiert auf seiner Seite 465 einen wichtigen Abschnitt für die Frauenbewegung wie für die Justiz: Frauen erhalten das gesetzliche Recht der Heranziehung zum Schöffen- und Geschworenenamt. Eine Merkwürdigkeit fällt ins Auge: Die Vorschrift, die den Frauen den ehrenamtlichen Zugang zur Rechtspflege eröffnet, enthält das Wort „Frau“ überhaupt nicht. Vielmehr beschließt der Reichstag, § 26 GVG um folgenden Satz zu ergänzen: „Mindestens ein Schöffe muß ein Mann sein.“ Einen Satz, der mit der Gewalt der Gesetzessprache statuiert, dass Frauen nunmehr der Weg ins richterliche Ehrenamt eröffnet ist, sucht man vergebens.

Aus: RGBl I 1922, Nr. 33, S. 465 | Foto: Ursula Sens

Diese Auffälligkeit erklärt sich bei Analyse der damaligen Rechtslage. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 traten am 1. Oktober 1879 die sog. Reichsjustizgesetze in Kraft, insbesondere GVG sowie StPO und ZPO. Eine Regelung, dass Frauen von der Rechtspflege – sei es als Laien- oder Berufsrichterin – ausgeschlossen sind, findet man in den Gesetzen nicht. Der Ausschluss von Frauen beruhte allein auf der damals vorherrschenden Anschauung, dass für die Mitwirkung in der Rechtsprechung nur Männer in Frage kommen konnten.

II. Der Weg

Schon zu Kaisers Zeiten gab es 1908 und 1909 Petitionen an den Reichstag, Frauen als Schöffen und Geschworene zuzulassen. Initiatoren waren u. a. der Verband Fortschrittlicher Frauenvereine Berlin und die Deutschen Gewerkvereine. Am 16. Dezember 1912 wandte sich der Landesverein Preußischer Volksschullehrerinnen an „den Hohen Reichstag“, dass Frauen – insbesondere Volksschullehrerinnen – als Schöffen bei Jugendgerichten zuzulassen seien.1

Der Erste Weltkrieg setzte weiteren politischen Initiativen ein vorläufiges Ende. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches war allerdings der Zug zur Beteiligung der Frauen an der Rechtsprechung nicht mehr aufzuhalten, auch wenn – um im Bild zu bleiben – viele Weichen und Querstrecken zu passieren waren.

Am 3. Juli 1919 hatte die verfassunggebende Preußische Landesversammlung beschlossen, die Staatsregierung zu ersuchen, „bei der Reichsregierung darauf hinzuwirken, daß bei der Neuregelung der Schöffen- und Geschworenengerichte die Zuziehung von Arbeitern und von Frauen gesichert wird.2 In der Folge brachten liberale Mitglieder des Reichstags um den Abgeordneten Franz Alfred Brodauf – im zivilen Beruf: Richter – am 29. Juli 1919 in die mit der Erarbeitung der Reichsverfassung befasste Nationalversammlung den Antrag ein, die Regierung solle einen Gesetzentwurf vorlegen, wonach „die Ehrenämter der Schöffen und Geschworenen auch von Frauen versehen werden können“.3

Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919 verankerte schon kurz darauf in Art. 109 Abs. 2 („Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“) und Art. 128 Abs. 1 („Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe der Gesetze und entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu den öffentlichen Ämtern zugelassen“) die grundsätzliche Gleichstellung von Frauen und Männern.4

Anfang 1920 veröffentlichte das Reichsjustizministerium unter Reichsminister Eugen Schiffer (DDP) den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen“. In der Begründung heißt es – vor allem im Hinblick auf die Geschworenen: „Denn je mehr das Volk an der Rechtsprechung teilnimmt, je freier und gerechter es das Strafverfahren geordnet sieht, desto eher werden das Verständnis für die Notwendigkeit der Strafrechtspflege und für die Heiligkeit der Gesetze wieder erwachen und die Urteile der Strafgerichte im Volke das hohe Ansehen genießen, dessen sie zu ihrer vollen Wirkung bedürfen.“5 Die Mitwirkung von weiblichen Schöffen und Geschworenen sah der Diskussionsentwurf aber nur in den Fällen vor, in denen eine Frau – allein oder zusammen mit Männern – angeklagt war. Für die Besetzung der Schöffengerichte beim Amtsgericht war vorgesehen, dass in diesen Fällen einer der beiden Schöffen eine Frau sein sollte, während in Verfahren vor dem Schwurgericht die Jury aus fünf Frauen und sieben Männern bestehen sollte. Zwar scheiterte dieser Entwurf bereits im Reichsrat,6 der von der Gesetzgebung eingeschlagene Weg wurde aber fortgeführt.

Da die Mahnungen aus dem Parlament eindringlicher wurden, fasste der Reichstag am 8. März 1921 – anlässlich der Beratung eines „Gesetzes zur Entlastung der Gerichte“ – eine Entschließung, die Reichsregierung zu ersuchen, in einem Gesetzentwurf den allgemeinen Zugang der Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamt zu regeln.7 Reichsminister Schiffer legte dem Reichsrat am 13. Juni 1921 den „Entwurf eines Gesetzes über die Heranziehung der Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamte“ vor.

III. Die Gegner

Schiffers Initiativen lösten heftige Debatten aus. Im Mai 1921 sprachen sich beim 4. Deutschen Richtertag in Leipzig nur 2 von etwa 250 Teilnehmern für die Zulassung von Frauen zum Richteramt aus mit der Begründung, dass Frauen wegen ihrer körperlichen „Instabilität“ (Menstruation, Schwangerschaft) nicht zu objektiven Beurteilungen in der Lage seien. Landgerichtsdirektor Stadelmann aus Potsdam referierte über „Die Zulassung der Frau zum Richteramt“: „Die Unterstellung des Mannes unter den Willen und den Urteilsspruch einer Frau widerspricht der Stellung, welche die Natur dem Manne gegenüber der Frau angewiesen hat und wie sie durch die Verschiedenheit des Geschlechts begründet ist. Sie widerspricht dem natürlichen Charakter des Mannes. Sie widerspricht auch dem besonderen deutschen Mannesgefühl, wie es bei der Mehrzahl der Männer ausgebildet ist. (…) Die gleichwohl erfolgende Unterstellung des Mannes unter den Richterspruch der Frau würde daher eine schwere Gefährdung des Ansehens der Gerichte … und damit der Achtung vor dem Gesetz zur Folge haben.“ Für die Zulassung der Frauen zum Schöffen- oder Geschworenenamt sprachen sich nur 9 bzw. 3 Teilnehmer aus.8

Der Reichsrat stimmte dem vom Reichsjustizministerium vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes über die Heranziehung der Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamte“ am 14. Juli 1921 bei Stimmengleichheit nicht zu. Diese beruhte, wie die Morgenausgabe des Berliner Tageblatts vom 20. Juli 1921 berichtete, vor allen Dingen auf dem Widerstand der überwiegenden Zahl der preußischen Provinzialvertreter und der süddeutschen Länder unter Führung Bayerns.9 Fünf Gründe wurden zur Ablehnung aufgeführt:

  1. Kraft ihrer seelischen Eigenart ist die Frau in weit höherem Maße als der Mann gefühlsmäßigen Einflüssen unterworfen und in der von Gefühlen unbeeinflußten objektiven Aufnahme und Beurteilung von Tatbeständen behindert.
  2. Kraft ihrer physischen Eigenart befindet sich die Frau in bestimmten Zeiten infolge besonderer Umstände (Menstruation, Schwangerschaft und Wechseljahre) in einem Zustand verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit und erhöhter Reizbarkeit und ist dann in besonders starkem Maße Gefühlseinflüssen unterworfen. (…)
  3. Die Frau steht an Entschlußfähigkeit und der Kraft zu energischem Durchgreifen vielfach hinter dem Manne zurück. Dies birgt die Gefahr einer Verweichlichung der Strafrechtspflege in sich, die gerade unter den schwierigen Verhältnissen, wo die Kriminalität außerordentlich gestiegen ist und dem Gesetze wieder die verlorene Achtung verschafft werden muß, besonders bedenklich ist.
  4. Der Mann hat überwiegend Abneigung dagegen, sich von Frauen aburteilen zu lassen und sich ihrem Urteil zu unterwerfen; daraus droht die Besorgnis, daß im Falle der Zulassung der Frau die Achtung vor den Gerichten herabgesetzt werden würde.
  5. Endlich ist auch zu befürchten, daß die Auswahl der weiblichen Schöffen und Geschworenen auf große Schwierigkeiten stoßen wird. Von dem allgemeinen Ablehnungsrecht, das der Entwurf der Frau einräumt und einräumen muß, werden vermutlich gerade die gute Hausfrau und Mutter sowie die im Berufsleben stehenden Frauen Gebrauch machen, sodaß das Frauenrichteramt in der Hauptsache die Frauen ausüben werden, die am wenigsten dazu berufen sind. 10

Die Standesorganisation der Rechtsanwälte war nicht fortschrittlicher. In einer Erklärung des Deutschen Anwaltvereins vom 29. Januar 1922 heißt es (im Schwerpunkt zum Amt der Berufsrichterin): „Die Frau eignet sich nicht zur Rechtsanwaltschaft oder zum Richteramt, ihre Zulassung würde daher zur Schädigung der Rechtspflege führen und ist aus diesem Grund abzulehnen.“ Von den christlichen Werten beseelt, erklärte die Zentrumspartei im Badischen Landtag: „Durch die Zulassung der Frau zum Justizdienst würde eine Bresche in das Rechtsleben gelegt. Die Frau ist anders geartet, wie der Mann; sie ist mehr Gefühls- wie Verstandswesen. Ihre Einbeziehung könnte unter Umständen sogar zu Ungunsten der Angeklagten ausschlagen.“11

Die „juristische“ Argumentation adaptierte insoweit eine „psychologische und medizinische“ Annahme, bei Frauen einen Mangel an unbeeinflussbarem, logischem Denken und an Objektivität feststellen zu können. Ihren plakativen Höhepunkt fand diese These in dem erstmals im Jahr 1900 erschienenen Essay des Neurologen und Psychiaters Paul Julius Möbius „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“. Die Zusammenstellung dieser im Gewand wissenschaftlicher Argumentation verpackten Vorurteile lassen ermessen, welche Widerstände die Frauenbewegung gegen eine heute selbstverständliche Beteiligung an der Rechtsprechung zu überwinden hatte.

Auch in den Reihen der Frauen herrschte nicht unbedingt Einstimmigkeit über die Teilhabe von Frauen als Schöffinnen und Geschworene. Die München-Augsburger Abendzeitung veröffentlichte am 3. Mai 1921 einen Kommentar von Dr. Ilse Prehn, die unter Berufung auf Friedrich Schiller („Männer richten nach Gründen, des Weibes Urteil ist seine Liebe“) vehement polemisierte, der „Frau selbst würde aus dem neuen ‚Recht‘, das einem Mißbrauch ihrer ganz anders gerichteten Anlage bedenklich nahe käme, kein Segen erwachsen. (…) Es ist nun einmal eine Tatsache, durch das Urverhältnis der Geschlechter zueinander tief begründet, daß ein Mann sich einer über ihn zu Gericht sitzenden Frau innerlich nicht beugen würde. Sogar die Frau selbst wird sich sträuben, das Urteil der Geschlechtsgenossin anzuerkennen.“12 Dass diese Auffassung in der öffentlichen Meinung bereits als überwunden gelten konnte, macht die Autorin selbst deutlich, als sie am Ende ihres Kommentars vorschlägt, Frauen als Schöffinnen in Verhandlungen über Straftaten von Jugendlichen und Frauen zuzulassen.

IV. Trotz alledem und alledem

Nach der Ablehnung durch den Reichsrat legte die Reichsregierung am 25. Juli 1921 dem Reichstag den Gesetzentwurf nach Art. 69 WRV zur Beschlussfassung vor, war aber verpflichtet, die ablehnende Begründung des Reichsrats ebenfalls dem Parlament zuzuleiten.13 Aufgrund der Gesetzesbegründung sah die Reichsregierung nunmehr davon ab, „nach der Art der einzelnen Strafsachen zu unterscheiden und nur bei gewissen Arten von Sachen die Mitwirkung von weiblichen Schöffen oder Geschworenen zuzulassen“. In der Beratung des Gesetzentwurfs musste zur Herstellung einer ausreichenden Mehrheit noch mancher Kompromiss gemacht werden; einer davon ist die bereits erwähnte Formulierung, dass mindestens ein Schöffe ein Mann sein müsse.14 Gegen diese Formulierung zog die USPD-Abgeordnete Lore Agnes heftig zu Felde. Inzwischen war Gustav Radbruch (SPD) Reichsjustizminister geworden, der der Abgeordneten prinzipiell zustimmte, für die Herstellung der Mehrheit aber Opfer bringen musste.15

V. Erster Erfolg

Ein Zwischenspiel hatte der Reichstag ab dem 25. November 1921 eingelegt. An diesem Tag legte Reichsarbeitsminister Dr. Heinrich Brauns – mit Zustimmung des Reichsrats – dem Reichstag eine Novelle zum Gewerbegerichts- und zum Kaufmannsgerichtsgesetz vor. Durch Gesetz vom 14. Januar 1922 wurde den Frauen das Recht zugesprochen, Mitglieder der Gewerbegerichte und der Kaufmannsgerichte zu werden.16 Die erste Bastion, die Frauen damit in der Rechtspflege erobert hatten, befand sich also nicht im Strafprozess, sondern im zivilprozessualen Verfahren. Die Dynamik der Diskussion wurde in der Änderung des § 11 Abs. 2 des Gewerbegerichtsgesetzes deutlich, der folgende Fassung erhielt: „Personen, die zum Amte eines Schöffen unfähig sind (Gerichtsverfassungsgesetz §§ 31, 32), können nicht berufen werden; Personen weiblichen Geschlechts können jedoch berufen werden.“ In der Begründung des Entwurfs wurde darauf Bezug genommen, dass dem Reichstag der Entwurf zur Änderung des GVG vorlag, der den gesetzlichen Ausschluss der Frauen vom Schöffen- und Geschworenenamt beseitigen soll. Durch die Annahme dieses Gesetzentwurfs wäre mittelbar auch die Wählbarkeit der Frauen zu den Gewerbegerichten eingeführt worden. Da der Reichstag hierüber noch keinen Beschluss gefasst hatte, nahmen das Gewerbegerichts- und das Kaufmannsgerichtsgesetz diese Entscheidung vorweg, indem sie die Berufung der Frauen zu diesen Gerichten vom GVG abkoppelten.

VI. Frauen als Schöffen und Geschworene

Das „Ob“ der ehrenamtlichen Beteiligung von Frauen in Strafverfahren war im Reichstag nicht mehr grundsätzlich umstritten. Zu groß war der allgemeine Druck auf das Parlament, das sich immerhin auf die Gleichstellung nach Art. 109 WRV stützen konnte. Die Rückzugsgefechte der Gegner einer weiblichen Beteiligung wurden nun auf dem Gebiet des „Wie“ geführt. Die Vorstellung, dass Frauen nur in Verfahren gegen Frauen eingesetzt werden sollten, war schnell vom Tisch. Die logische Argumentation der Frauenbewegung war, wenn Frauen in Verfahren gegen Männer für das Richteramt ungeeignet seien, dann dürften sie im Interesse der Frauen auch nicht über Frauen richten. Im Gegenteil: Wenn der Mann über Frauen urteilen dürfe, müsse grundsätzlich auch die Frau über Männer urteilen.

Auch Stimmen aus den Ländern, wie die des Regierungsvertreters Oberregierungsrat Dr. Dürr in der Sitzung des Bayerischen Landtags vom 20. Dezember 1921, Bayern möge sich im Reichsrat nach einer Beschlussfassung des Gesetzes gegen die generelle Beteiligung der Frauen als Laienrichterinnen aussprechen und die Zulassung erst einmal versuchsweise in den Jugendgerichten ausprobieren, konnte sich nicht durchsetzen.17

Die letzte Bastion, die die Gegner der „Schöffinnen-Beteiligung“ retten konnten, war eine „Männer-Schutz-Klausel“. Mindestens eine Person im richterlichen Ehrenamt musste männlichen Geschlechts sein. Eine Mindestquote der Wahl von Frauen durch den Schöffenwahlausschuss wurde im Übrigen von Frauenverbänden selbst abgelehnt. Von den zu wählenden Personen müsse allein verlangt werden, „daß von ihnen eine gewissenhafte und unparteiische Ausübung des Richteramtes zu erwarten ist“.18 Sehen wir also nicht mit Überheblichkeit auf die Debatte von vor 100 Jahren zurück. Die heutige Reduzierung der Teilhabe-Debatte auf die geschlechtliche Zugehörigkeit nach Frauen, Männern und Diversen ist ein Rückfall auf das Niveau der Gegner der Beteiligung von Frauen. Die Frauenbewegung war da schon einmal weiter.

Am 6. April 1922 beschloss der Reichstag das Gesetz; der Reichsrat gab seinen Widerstand auf und stimmte am 11. April 1922 dem Gesetz zu, sodass dieses am 14. Tag nach der Verkündung im Reichsgesetzblatt vom 25. April 1922 in Kraft treten konnte (Art. 71 WRV).19 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich im Übrigen die Beteiligung an den echten Schwurgerichten bereits faktisch erledigt, da Reichsjustizminister Erich Emminger die Geschworenen-Jury durch Notverordnung vom 22. März 1924 abschaffte und durch ein großes Schöffengericht mit drei Berufsrichtern und sechs Schöffen – die weiter Geschworene hießen – ersetzte.

Noch Jahre nach der Zulassung von Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamt regte sich punktueller Widerstand gegen ihre Mitwirkung. So berichtete die Korrespondenz Frauenpresse vom 1. Februar 1932 über den Totschlagsprozess gegen einen Angeklagten, der sich an seiner Stieftochter sexuell vergangen und sie dann erdrosselt hatte. Die Verteidigung ersuchte zunächst die einzige Geschworene, auf die Verhandlung zu verzichten, und beantragte dann, das Gericht möge die Geschworene für befangen erklären. Der Antrag soll starkes Erstaunen erregt haben und wurde als unbegründet zurückgewiesen.20

Bei der Teilhabe von Frauen an der Rechtsprechung befand sich Deutschland nicht unbedingt an der Spitze der Bewegung. Bettauer zitierte einen Bericht in der Columbia Law Review 1932, S. 134 über ein Urteil des Obersten Bundesgerichts der USA zu einem Fall in Massachusetts. Der Staat ließ noch zum damaligen Zeitpunkt Frauen nicht als Geschworene zu. Der Gerichtshof akzeptierte dies mit der Begründung, der Ausschluss von Frauen vom Geschworenenamt sei ebenso zulässig wie der von Anwälten, hohen Beamten, Ministern usw.21

VII. Der nächste Schritt

Am 1. Juli 1922 beschloss der Reichstag das „Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege“.22 Die Universitäten hatten ihre Türen den Frauen schon vorher geöffnet; den Weg zu den juristischen Staatsexamina und in das Richteramt mussten die Frauen aber noch erkämpfen. Erst 1927 wurde Maria Hagemeyer als erste Frau in Preußen zur Amts- und Landgerichtsrätin in Bonn ernannt.23 Gustav Radbruch dürfte sich eine schnellere Entwicklung gewünscht haben, als er vor der Abstimmung über das Gesetz zur Zulassung der Frauen zum Schöffenamt die Erwartung aussprach, „daß mehr und mehr an die Stelle eines reinen Männerrechtes ein Menschenrecht treten wird“.24

VIII. Der weitere Weg

Die Erfolge wurden von den Nationalsozialisten schnell wieder beseitigt. Mit der Gleichberechtigungsdebatte musste die junge Bundesrepublik erneut beginnen. Die Teilhabe von Frauen am Schöffenamt war als Prinzip zwar unstreitig geworden; bis ihr Anteil auch nur einigermaßen paritätisch genannt werden konnte, war das 100-jährige Jubiläum der Zulassung der Frauen zum Schöffenamt schon fast erreicht.25

Dass das „Gesetz über die Heranziehung der Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamte“ vom 25. April 1922 nicht das Ziel, sondern erst der Anfang war, war den Frauen von Beginn an klar, wie sich aus einem „Merkblatt über das Laienrichteramt der Frau“, herausgegeben vom Katholischen Deutschen Frauenbund, Abteilung für staatsbürgerliche Schulung aus dem Jahr 1922 ergibt: „Das Reichsgesetz … gibt die Möglichkeit, auch in der Rechtspflege Fraueneinfluß geltend zu machen. Durch ein formales Gesetz allein aber ist die vollkommene Gewähr dafür nicht gegeben; es muß darum ergänzt werden durch eine systematische Vorbereitung der Frauen zu diesem Amte, die sachliche und persönliche Gesichtspunkte umschließt. Die sachliche Vorbereitung erfordert in erster Linie Kenntnis über Organisation und Wirkungskreis der Schöffen- und Schwurgerichte, über Rechte und Pflichten der Schöffen und Geschworenen.“26 – Ein Hinweis, den durchaus auch Männer im Schöffenamt verinnerlichen dürfen.


Komödie „Wenn Frauen richten“

Alfred Wieruszowski (1857–1945), Richter am OLG und später Professor der 1919 gegründeten Universität zu Köln machte sich über den heftigen Streit, Frauen zum Richterberuf zuzulassen, lustig und schrieb 1905 die Komödie „Wenn Frauen richten“. Die Handlung spielt an einem fiktiven Amtsgericht bei Köln im Jahr 1953, also knapp 50 Jahre später. Das nur aus Frauen bestehende Gericht – Amtsgerichtsrätin Camilla Hochgemut sowie die Schöffinnen Kriemhild Gruselmann und Aennchen Allerwelt – bedient alle Rollenklischees. Nur der Gerichtsdiener und der Strafverteidiger sind männlich.27


Zitiervorschlag: Ursula Sens/Hasso Lieber, Frauen seit 1922 im Schöffen- und Geschworenenamt, in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 1, S. 4-9.

  1. In: Frauen als Schöffen und Geschworene, Digitales Deutsches Frauenarchiv, B Rep. 235-20 Nr. 366, S. 5 f. [Abruf: 7.5.2023].[]
  2. Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, Tagung 1919/21, Bd. 3, 39. Sitzung, Sp. 2951 (Antrag Drucksache Nr. 472 zu II B 3, Sp. 53 f.).[]
  3. Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung 1919/20, Bd. 338 (Anlagen), Nr. 698.[]
  4. F. Hartung, Die Frau als Laienrichter, Berliner Tageblatt 1921, Nr. 336 vom 20.7.1921, in: Frauen als Schöffen und Geschworene, Digitales Deutsches Frauenarchiv, B Rep. 235-20 Nr. 366, S. 13 f. [Abruf: 7.5.2023]; darin berichtete der Autor, Oberjustizrat im preußischen Justizministerium, dass nach dem Inkrafttreten der Reichsverfassung „freilich in missverständlicher Auslegung derselben“ ein Amtsrichter aus dem Hessenlande bereits ein Jahr lang mit Frauen als Schöffen gearbeitet habe, wobei sogar an vier Sitzungstagen beide Schöffen Frauen gewesen seien.[]
  5. Werner Schubert (Hrsg.), Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, Abt. 1 Bd. 4, Berlin 1999, S. 146.[]
  6. Vgl. Thomas Vormbaum, Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924, Berlin 1988, S. 46, 89, 114.[]
  7. Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode, 78. Sitzung, Bd. 348, S. 2741B (zum Abänderungs-Antrag, Bd. 365, Nr. 1609).[]
  8. Otto Stadelmann, Die Zulassung der Frau zum Richteramt, DRiZ 1921, Sp. 196, 201, 206; Otto Hartwig, Die Frau in der Rechtspflege, Detmold 1922, S. 9.[]
  9. F. Hartung, Die Frau als Laienrichter, Berliner Tageblatt 1921, Nr. 336 vom 20.7.1921, in: Frauen als Schöffen und Geschworene, Digitales Deutsches Frauenarchiv, B Rep. 235-20 Nr. 366, S. 13 f. [Abruf: 7.5.2023].[]
  10. Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode, Bd. 368 (Anlagen), Nr. 2561.[]
  11. Zitiert nach Katherine Quinlan-Flatter, Als Frauen Richterinnen werden durften: So schwer war der Weg zur „Gleichberechtigung“ in Karlsruhe vor 100 Jahren, ka-news vom 8.1.1922 [Abruf: 7.5.2023].[]
  12. Weibliche Laien- und Berufsrichter, in: Frauen als Schöffen und Geschworene, Digitales Deutsches Frauenarchiv, B Rep. 235-20 Nr. 366, S. 9 f. [Abruf: 7.5.2023].[]
  13. Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode, Bd. 368 (Anlagen), Nr. 2561[]
  14. Zum Verlauf der Beratungen vgl. die Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode: 1. Lesung: 154. Sitzung, Bd. 352, S. 5408B; Mündlicher Bericht des 22. (Rechts-)Ausschusses, Bd. 372 (Anlagen), Nr. 3944; 2. Lesung: Abänderungs-Antrag, Bd. 372 (Anlagen), Nr. 4040; 204. Sitzung und handschriftlicher Antrag des Abg. Hergt und Fraktion, Bd. 354, S. 6911D; 3. Lesung: 204. Sitzung, Bd. 354, S. 6918D.[]
  15. Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode, 204. Sitzung, Bd. 354, S. 6915D.[]
  16. Gesetz zur Abänderung des Gewerbegerichtsgesetzes vom 29. Juli 1890/30. Juni 1901 und des Gesetzes, betreffend Kaufmannsgerichte, vom 6. Juli 1904, RGBl I 1922, S. 155.[]
  17. 92. Sitzung des Bayerischen Landtags vom 20.12.1921, in: Frauen als Schöffen und Geschworene, Digitales Deutsches Frauenarchiv, B Rep. 235-20 Nr. 366, S. 21 ff. [Abruf: 7.5.2023].[]
  18. Begründung des Entwurfs eines Gerichtsverfassungsgesetzes, soweit es sich um die Beteiligung von Frauen als Schöffen und Geschworene handelt, Stellungnahme des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, ca. 1920, S. 3 [Abruf: 7.5.2023].[]
  19. RGBl I 1922, S. 465.[]
  20. Weibliche Geschworene, in: Frauen als Schöffen und Geschworene, Digitales Deutsches Frauenarchiv, B Rep. 235-20 Nr. 366, S. 25 [Abruf: 7.5.2023].[]
  21. Zitiert nach Parker Reginald Bettauer, Amerikanische Zeitschriften, in: Frauen als Schöffen und Geschworene, Digitales Deutsches Frauenarchiv, B Rep. 235-20 Nr. 366, S. 26 [Abruf: 7.5.2023].[]
  22. Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode, 241. Sitzung, Bd. 356, S. 8216C; 246. Sitzung, S. 8357C (Berichtigung); Verkündung: RGBl I 1922, S. 573.[]
  23. Georg Winkel, Oberlandesgericht Köln: Maria Hagemeyer – Deutschlands erste Richterin 30. Todestag, Presseerklärung vom 1.12.2021 [Abruf: 7.5.2023].[]
  24. Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode, 204. Sitzung, Bd. 354, S. 6916B.[]
  25. Vgl. dazu Hasso Lieber, Die Ergebnisse der Schöffenwahlen für die Amtszeit 2019 bis 2023, RohR 2020, S. 3 ff.[]
  26. In: Digitales Deutsches Frauenarchiv, Frauen als Schöffen und Geschworene, B Rep. 235-20 Nr. 364, S. 3 ff. [Abruf: 7.5.2023].[]
  27. Martin Rath, Gefährdung des Ansehens der Gerichte. Komödie über die Sorge vor Frauen in die Justiz, LTO vom 5.6.2022 [7.5.2023].[]

Über die Autoren

  • Ursula Sens

    Geschäftsführerin PariJus gGmbH, 1994–2018 Vorsitzende Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen – Bund ehrenamtlicher Richterinnen und Richter – Landesverband NRW e. V., 1995–2022, Heft 1 Mitarbeit Redaktion „Richter ohne Robe“

  • Hasso Lieber

    Geschäftsführender Gesellschafter PariJus gGmbH, Rechtsanwalt, Staatssekretär a. D., Generalsekretär European Network of Associations of Lay Judges, 1993–2017 Vorsitzender Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter e. V., 1989–2022, Heft 1 Redaktionsleitung „Richter ohne Robe“

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