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Vor 100 Jahren – Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924

Von Ursula Sens, PariJus gGmbH

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Abstract
Die Lex Emminger war eine Notverordnung des Justizministers Erich Emminger vom 4. Januar 1924, die das klassische Jury-System in Deutschland abschaffte. Die Reform reduzierte die Zahl der Laienrichter und erweiterte die Kompetenzen des Berufsrichters als Einzelrichter.

The Lex Emminger was an emergency decree issued by the Minister of Justice Erich Emminger on 4 January 1924, which abolished the traditional jury system in Germany. The reform reduced the number of lay judges and expanded the competences of the professional judge as a single judge.

Die „Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege“ vom 4. Januar 1924 gehört zu den einschneidendsten Reformen des Strafverfahrens (StPO, GVG) seit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze 1879; ihre strukturellen Veränderungen wirken bis heute fort.1 Sie ging als „Lex Emminger“ oder „Emminger-Reform“ – bezeichnet nach dem damaligen Reichsjustizminister Erich Emminger – in die Rechtsgeschichte ein. Aufgrund eines vom Reichstag beschlossenen Ermächtigungsgesetzes2 war die Reichsregierung „ermächtigt, die Maßnahmen zu treffen, die sie im Hinblick auf die Not von Volk und Reich für erforderlich und dringend erachtet“.3 Das Reichsjustizministerium nutzte die Gelegenheit, um mit der Lex Emminger – quasi im Handstreich, vorbei am Parlament – Reformen zu realisieren wie die Abschaffung der Schwurgerichte in ihrer bisherigen Form und damit die Reduzierung der Laienbeteiligung.4

Das 19. Jahrhundert war geprägt von der Frage „Schöffengericht oder Geschworenen-Jury“. Das Gerichtsverfassungsgesetz beantwortete die Frage mit einem Nebeneinander von Schöffen- und Schwurgericht. Für das umstrittene Schwurgericht gab es etliche Reformvorschläge. Kritisiert wurde, dass bei der Aufspaltung der Entscheidung über die Schuld und die Strafe die Geschworenen keinen Einfluss mehr auf die Strafzumessung hatten und auch ihr Schuldspruch nicht begründet werden musste. Zudem verursachte es hohe Kosten, weil aus 30 Geschworenen (von denen mindestens 24 anwesend sein mussten) 12 ausgesucht wurden, indem Anklage wie Verteidigung ein Ablehnungsrecht zustand.

Die wichtigsten Änderungen:

  • Neuregelung der Zuständigkeit des Amtsgerichts (§ 7 ff.) mit erheblicher Ausweitung der Zuständigkeit des Einzelrichters (Gefängnis bis 6 Monate, in bestimmten Fällen nach § 8 Nr. 3 bis zu 1 Jahr, nach § 9 sogar Zuchthaus); Besetzung des Schöffengerichts mit 1 bzw. 2 Berufsrichtern und 2 Schöffen (§ 7 ff.);
  • Umwandlung des klassischen Schwurgerichts unter Beibehaltung des Namens in eine Große Strafkammer mit 3 Berufsrichtern und 6 Geschworenen, die gemeinsam und gleichberechtigt über Schuld und Strafe entscheiden (§ 12);
  • Zwei-Drittel-Mehrheit der Mitglieder des Gerichts bei der Abstimmung für jede dem Angeklagten nachteilige Entscheidung in der Schuld- und Straffrage (§ 20);
  • die Strafkammer des Landgerichts ist nur noch Berufungsinstanz (§ 11), die Kleine Strafkammer ist für Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts (1 Berufsrichter, 2 Schöffen) zuständig, die Große Strafkammer für Berufungen gegen Urteile des (erweiterten) Schöffengerichts (3 Berufsrichter, 2 Schöffen).

Die Lex Emminger wird allgemein als „Beerdigung“ des klassischen Schwurgerichts angesehen.5 Ihr nachhaltigster Effekt lag aber in der Aufwertung des Einzelrichters, der heute über 90 % der Verfahren beim Amtsgericht erledigt.


  1. Ausführliche Darstellung von Entstehung, Inhalt und Auswirkungen: Thomas Vormbaum, Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924, Berlin 1988. ↩︎
  2. Vom 8.12.1923, RGBl I 1923, S. 1179. ↩︎
  3. RGBl I 1924, S. 15; Bekanntmachung der Texte des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung, RGBl I 1924, S. 299. ↩︎
  4. So auch Kurt Tucholsky, Merkblatt für Geschworene: „Wenn du Geschworener bist, vergiß dies nicht –: echte Geschworenengerichte gibt es nicht mehr. Der Herr Emminger aus Bayern hat sie zerstört, um den Einfluß der ›Laien‹ zu brechen“, Die Weltbühne, 6.8.1929, Nr.  32, S. 202 [Abruf: 1.2.2024]. ↩︎
  5. Nach dem 2. Weltkrieg hatte es in Bayern bis zum Rechtsvereinheitlichungsgesetz 1950 eine kurze Renaissance. ↩︎

Zitiervorschlag: Ursula Sens, Vor 100 Jahren – Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 1, S. 47.

Über die Autoren

  • Geschäftsführerin PariJus gGmbH, 1994 bis 2018 Vorsitzende Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen – Bund ehrenamtlicher Richterinnen und Richter – Landesverband NRW e. V., 1995 bis 2022, Heft 1 Mitarbeit Redaktion „Richter ohne Robe“

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