E. Hilgendorf; M. T. Oğlakcıoğlu (Hrsg.): Verrohung der Kommunikation?
Eric Hilgendorf; Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu (Hrsg.): Verrohung der Kommunikation? Verrohung des Strafrechts? Berlin: Duncker & Humblot 2025. 139 S. (Schriften zum Strafrechtsvergleich; Bd. 24) Print-Ausg.: ISBN 978-3-428-19345-5 € 69,90; E-Book: € 69,90
Der Band gibt die Beiträge einer Tagung an der Universität des Saarlandes vom 5./6. Mai 2023 wieder. Schon der Titel macht das dialektische Verhältnis deutlich zwischen den Taten, die Gegenstand der Erörterung über eine sich gesellschaftlich verbreitende Erscheinung sind, sowie den politischen und rechtlichen Reaktionen, die nach der Aufgabe des Strafrechts sanktionierenden wie präventiven Zielen dienen sollen. Die ins Auge zu fassenden Bereiche sind vielfältig. Die Palette reicht von der Frage, was Schutzobjekt einer Strafnorm ist, über die Reichweite der Befugnis, zur Aufklärung einer Tat in private Bereiche Verdächtiger einzudringen, bis zur Wirksamkeit der geschaffenen Normen. Dabei spielt nicht nur das deutsche, sondern auch das europäische Recht eine Rolle. Die Grenzenlosigkeit der Auswirkungen einer Hassrede, von manipulierten oder schlicht erfundenen „Tatsachen“ verlangt nach einer weiten Geltung des Rechts. Die Problematik beginnt schon bei allgemein geläufigen Begrifflichkeiten. Die „Ehre“ eines Menschen ist weltweit in unterschiedlichen Kulturen ein anerkannter Wert, gleichwohl historisch – vom Duellwesen im 19. Jahrhundert bis zum Missbrauch durch die Nationalsozialisten – zu sehr belastet, als dass man ihn ohne Weiteres als Schutzobjekt einer Strafnorm verwenden kann. Hilgendorf schlägt daher in einem bemerkenswerten Beitrag vor, den Begriff „Ehre“ durch „Respekt“ zu ersetzen, um die Belastungen zu vermeiden und einen moderneren, universelleren und rechtlich klareren Begriff zu verwenden, der besser in die heutige Gesellschaft passt. Die Dimensionen macht der Beitrag von Anja Schmidt deutlich, wonach allein zwischen 2019 und 2021 einer Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing zufolge die Zahl der Opfer von Cybermobbing um 13,6 % zugenommen hat. Der Griff zu Alkohol, Medikamenten oder Drogen, bei 15 % der Befragten sogar Suizidgedanken waren die Folgen bei den Geschädigten. Schmidt wie Hilgendorf nehmen den sog. Drachenlord als Beispiel für Mobbing im Netz, das konkrete Ausmaße in der realen Welt nach sich zieht – mit sozialen und physischen Zerstörungen. Aber nicht nur individuelle, auch kollektive Folgen können sich einstellen und damit einen Cybermobbing-Tatbestand zum Gegenstand politischen Gebrauchs machen. Das ist in sonders dann der Fall, wenn die Strafvorschrift sehr weit und unbestimmt gefasste Merkmale der Strafbarkeit enthält. Hier halten die Autoren auch Umschau nach den gesetzlichen Regeln in den deutschsprachigen Nachbarländern und der Türkei. Auch wenn es ein Fachbuch ist, enthält die Schrift viele Anregungen zur Diskussion unter Nichtjuristen. Schöffen müssen sich schließlich damit beschäftigen, welches Verhalten gemessen an den gesetzlichen Merkmalen strafwürdig ist oder nicht. Wie der Rezensent aus seiner anwaltlichen Praxis weiß, ist das Verhältnis von digital-virtuellen Verletzungen zu körperlichen Verletzungen auch in der (berufs-)richterlichen Praxis noch nicht überall angekommen. (hl)
Zitiervorschlag: Hasso Lieber, E. Hilgendorf; M. T. Oğlakcıoğlu (Hrsg.): Verrohung der Kommunikation? [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 1 (2025) Ausg. 1, S. 35.