E. Hoven; T. Weigend: Strafsachen
Elisa Hoven; Thomas Weigend: Strafsachen. Ist unser Recht wirklich gerecht? Köln: DuMont-Buchverl. 2023. 283 S. Print-Ausg.: ISBN: 978-3-8321-8198-7 € 23,00
Die Titel-Frage wollen die beiden Autoren anhand der Darstellung realer Strafverfahren untersuchen, nach der Methode der auf den französischen Autor François Gayot de Pitaval (1673–1743) zurückgehenden „causes célèbres et intéressantes“, heute true crimes genannt. Zwei Begriffe stehen dabei einander gegenüber: Recht und Gerechtigkeit. Dass diese nicht immer deckungsgleich sind, ist eine Binsenweisheit. Sie gegeneinander abzuwägen, ist eine Aufgabe, die sich mit juristischem Studium allein nicht bewältigen lässt. In sieben Teilen werden Grundsätze und Beteiligte im Strafrecht und Strafverfahren auf diese Dichotomie untersucht – das Gericht und das Gesetz, die Grenzziehung zur Strafbarkeit, Werte und Moral sowie die verfassungsrechtlichen Prinzipien. Die Bandbreite reicht von der harmlosen „Majestätsbeleidigung“ des Jan Böhmermann an Erdoğan bis zur Unzulässigkeit der Verfolgung eines – nach einem rechtskräftigen Freispruch – erkannten Mörders wegen des Verbots der Doppelbestrafung. Die Autoren belassen es nicht bei der bloßen Darstellung des Geschehens, sondern vermitteln anhand der „lebendigen“ Beispiele Grundsätze und Legitimation des (Nicht-)Eingriffs staatlicher Gewalt in die Grundrechte seiner Staatsbürger, gemessen an historisch mühsam erkämpften Strukturen, aber auch an dem Verständnis, das Bürger diesem Verhalten im Einzelfall entgegenbringen. Und nicht immer hat die rechtsprechende Gewalt auch „Recht“. Deutlich wird dies an der Causa Künast, in der der durchschnittliche Bürger berechtigte Zweifel an den Berliner Zivilgerichten hegen konnte, die die Bezeichnung eines Menschen als „Stück Scheiße“ und „Drecks Fotze“ für eine von Art. 5 GG gedeckte Meinungsäußerung hielten (vgl. dazu Sehl, LG Berlin zu Verbalattacken auf Renate Künast, LTO vom 19.9.2019). Hier war die „Meinung des Volkes“ rechtssicherer als die der Richter, die nur Schritt für Schritt von ihrer Meinung abrückten – teils aufgrund der öffentlichen Reaktionen, teils durch eine Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 19.12.2021, Az.: 1 BvR 1073/20). Umgekehrt tat sich die öffentliche Meinung schwer im Fall Möhlmann, in dem ein Angeklagter zunächst verurteilt, aufgrund neuer technischer Verfahren aber später freigesprochen wurde. Nachdem die Kriminaltechnik weitere Fortschritte gemacht hatte und sich die Täterschaft des Angeklagten wieder verdichtete, war die Öffentlichkeit nur schwer von der Bedeutung des Grundsatzes „ne bis in idem“ (Verbot der Doppelbestrafung, Art. 103 Abs. 3 GG) zu überzeugen. Hoven/Weigend vermögen anhand dieser wie vieler weiterer Verfahren Basiswissen über Strafrecht und Strafgerichtsbarkeit „hautnah“ zu vermitteln. Für Schöffen, Gerichtsreporter und Krimi-Autoren sollte das Buch Pflichtlektüre werden. (hl)
Zitiervorschlag: Hasso Lieber, E. Hoven; T. Weigend: Strafsachen [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 1 (2025) Ausg. 1, S. 32.