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EuGH: Vorabentscheidung; Status ehrenamtlicher Richter in Italien

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§ 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge1 steht einer nationalen Regelung zur Ahndung missbräuchlich aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge entgegen, wenn diese den Antrag ehrenamtlicher Richter auf Teilnahme an einem Bewertungsverfahren, bis zum 70. Lebensjahr in ihrer Funktion bestätigt zu werden, davon abhängig macht, dass sie auf einen – unionsrechtlichen – Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für ihr vorheriges ehrenamtliches Arbeitsverhältnis verzichten. (Leitsatz d. Red.)

Sachverhalt: Seit dem 1.1.2022 regelt in Italien Art. 29 des Dekrets Nr. 116 bezüglich der Strukturreform des Ehrenamtes im Justizwesen, dass zu diesem Zeitpunkt aktive ehrenamtliche Richter und Staatsanwälte bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres auf Antrag im Amt bestätigt werden, wenn sie ein Bewertungsverfahren durchlaufen und bestehen. Wer keinen Antrag stellt oder die Bewertung nicht besteht, erhält eine Entschädigung. Die Teilnahme am Verfahren führt zum Verlust weiterer Ansprüche aus dem früheren Ehrenamt.
N. Z. ist seit 2001 ehrenamtliche Richterin, zunächst periodisch, ab 13.12.2022 endgültig bis zum 70. Lebensjahr. Bis 2022 wurde die Entschädigung u. a. nach der Anzahl der Sitzungen bemessen unter Ausschluss der Gerichtsferien; als Rechtsanwältin war sie Mitglied im Pflichtsystem der sozialen Sicherheit mit einem Beitrag entsprechend ihrer Einkünfte als Rechtsanwältin und ehrenamtliche Richterin.

N. Z. sah eine rechtswidrige Behandlung in der Vergütung vor der dauerhaften Bestätigung und erhob Klage auf Anerkennung als „Arbeitnehmerin“ in ihrer Tätigkeit. Sie verfolgt die wirtschaftliche und rechtliche Gleichbehandlung zu Arbeitnehmern mit vergleichbaren Aufgaben im Justizministerium (u. a. Urlaub, Unfallentschädigung, Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Altersversorgung, Versicherungsschutz) und beantragt Ersatz des Schadens, der durch Verletzung von EU-Recht und dem missbräuchlich wiederholten Abschluss befristeter Arbeitsverträge entstanden sei.
Nach § 4 der EU-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge dürfen befristet Beschäftigte wegen dieses Arbeitsverhältnisses gegenüber Dauerbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, außer aus sachlichen Gründen. Art. 7 der „Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung“ verpflichtet die Mitgliedstaaten, dass jeder Arbeitnehmer bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält nach dortigen Vorschriften oder Gepflogenheiten.
Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage am 14.3.2022 teilweise statt. N. Z. sei als ehrenamtliche Richterin unionsrechtlich „Arbeitnehmerin“ und habe Anspruch auf die gleiche Vergütung wie ein Berufsrichter. Das Justizministerium müsse für die Zeit vor Klageerhebung die Vergütung in den Grenzen der fünfjährigen Verjährungsfrist zahlen. Das befristete Arbeitsverhältnis sei missbräuchlich wiederholt verlängert worden; N. Z. sei der Schaden von neun Monatsgehältern eines Berufsrichters zu ersetzen. Ein Anspruch zur Aufnahme in das soziale Sicherheitssystem für Beamte (INPS) bestehe mangels öffentlichen Anstellungsverhältnisses nicht.

Während des anschließenden Berufungsverfahrens führte N. Z. erfolgreich die Bewertung durch und bezog seit dem 13.12.2022 eine Vergütung auf Grundlage des Gehalts eines Justizbeamten plus Richterzulage, auch während der Gerichtsferien. Sie wurde aus dem Berufsverzeichnis der Rechtsanwälte gestrichen, bei der Anwaltsversorgungskasse abgemeldet und beim INPS versichert. Das Berufungsgericht hat dem EuGH die Fragen vorgelegt, ob das europäische Recht einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach

  • ein als „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ eingestufter, bis zum 70. Lebensjahr bestätigter ehrenamtlicher Richter den Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Zeit vor der Bestätigung verliert;
  • sowohl der nach bestandener Bewertung bestätigte ehrenamtliche Richter als auch der finanziell Entschädigte auf alle zuvor entstandenen Ansprüche verzichten muss.

EuGH zu den Vorlagefragen: § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung gibt den Mitgliedstaaten vor, Missbräuche zu verhindern, lässt aber die Wahl der Mittel. Die Maßnahmen müssen verhältnismäßig, wirksam und abschreckend sein. Ist es zum missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge gekommen, müssen effektive und äquivalente Garantien den Missbrauch gebührend ahnden und die Folgen des Verstoßes gegen das Unionsrecht beseitigen. Dazu können befristete in unbefristete Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden; die Beschäftigungsstabilität ist ein wichtiger Aspekt des Arbeitnehmerschutzes. Eine Kumulierung von Maßnahmen, etwa eine Entschädigung zusätzlich zur Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, wird nicht verlangt.
§ 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung verbietet, befristet beschäftigte Arbeitnehmer gegenüber Dauerbeschäftigten nur wegen der Befristung schlechter zu behandeln; eine unterschiedliche Behandlung ist nur aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Befinden sich ehrenamtliche Richter in einer Berufsrichtern vergleichbaren Situation, ist zu prüfen, ob es objektive Gründe für eine Ungleichbehandlung gibt. Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub (Art. 31 Abs. 2 EU-Charta) ist zwingend und nicht von Bedingungen abhängig. Es sind nur die Dauer, ggf. bestimmte Voraussetzungen festzulegen. Folglich stehen § 4 der Rahmenvereinbarung, Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta einer Regelung entgegen, die im Unterschied zu Berufsrichtern für ehrenamtliche Richter jeden Anspruch auf eine Entschädigung während der Gerichtsferien, in denen die gerichtliche Tätigkeit ruht, ausschließt.

Anmerkung: In Italien nehmen ehrenamtliche Friedensrichter an der Rechtsprechung teil – in Verfahren unabhängig vom Streitwert in schlichtender, in einfachen Zivil- und Strafsachen sowie gesetzlich definierten verwaltungsrechtlichen Verfahren in streitentscheidender Funktion. Daneben sind auch ehrenamtliche (sog. stellvertretende) Staatsanwälte tätig.2 Alle ehrenamtlich Tätigen haben eine juristische Ausbildung und arbeiten zum Teil als Rechtsanwälte. Im Vergleich zu „ehrenamtlichen“ Richtern nach deutschem Recht sind jetzt italienische Ehrenamtliche eher „non-career-judges“, die wie Berufsrichter entlohnt werden, aber nicht dem Einfluss von Beförderung und damit verbundener besserer Besoldung unterliegen.
In Spanien befinden sich ehrenamtliche Richter und Staatsanwälte in der gleichen Situation wie in Italien. Das Präsidium von ENALJ hat sich mit einer Solidaritätsadresse an die spanische Regierung gewandt. Der zuständige Minister antwortete, das Parlament befasse sich mit Maßnahmen, die von EU-Kommission und EuGH gefordert wurden, um die kritisierte Art der Verwendung zu verhindern und ggf. zu sanktionieren. Der Minister betonte die Bereitschaft zur Diskussion mit den ehrenamtlichen Richtern und Staatsanwälten. Aufgrund zweier Petitionen der spanischen Organisation der ehrenamtlichen Richter und Staatsanwälte APJI an das Europäische Parlament hat dessen Petitionsausschuss (Nr. 0671/2025) festgestellt, dass diese in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union fallen und die EU-Kommission um Prüfung gebeten, ob die spanischen Gesetze mit der Richtlinie 1999/70/EG und der EuGH-Rechtsprechung im Einklang stehen.
In Spanien und Italien haben die Ministerien den Dialog aufgenommen. Auch für Deutschland hat die EuGH-Entscheidung Bedeutung. Das Gericht verdeutlicht, dass die ehrenamtliche Wahrnehmung des Richteramtes „Arbeit“ ist – eine Bedeutung, die oft übersehen wird, insbesondere bei Fragen der finanziellen und zeitlichen Entschädigung des Einsatzes bei Gericht. Insofern ist es hilfreich, deutschen Gerichten wie politisch Verantwortlichen ins Gedächtnis zu rufen, dass wegen der Ausübung des richterlichen Ehrenamtes niemand benachteiligt werden darf (§ 45 Abs. 1a DRiG). Leider zeigt sich im Vergleich zu unseren südeuropäischen Partnern die deutsche Politik nicht sonderlich kommunikativ. (hl)


  1. Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28.6.1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge [Abruf: 14.11.2025]. ↩︎
  2. Ausführlich: Alessia Perolio/Margherita Morelli, I Giudici Laici e Onorari in Italia, LAIKOS Journal Online 2024, S. 38 ff. ↩︎

Zitiervorschlag: EuGH: Vorabentscheidung; Status ehrenamtlicher Richter in Italien, in: LAIKOS Journal Online 3 (2025) Ausg. 3, S. 97-98.

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