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BAG: Geltung des Art. 110 BbgVerf für ehrenamtliche Richter am LAG Berlin-Brandenburg

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  1. Ehrenamtliche Richter aus Brandenburg an gemeinsamen Fachobergerichten der Länder Berlin und Brandenburg können sich nicht auf Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf berufen.
  2. Der Arbeitgeber des an einem brandenburgischen Gericht tätigen ehrenamtlichen Richters unterliegt Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf nur dann, wenn er seinerseits zum „Staatsvolk“ zählt.
  3. Ein Wohnsitz des Arbeitnehmers im Land Brandenburg allein ist für die Anwendung des Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf nicht ausreichend, auch wenn dieser dem Schutz der Funktionsfähigkeit brandenburgischer Gerichte dienen könnte. (Leitsätze d. Red.)

Sachverhalt: Der in Potsdam wohnhafte Kläger (Kl.) war seit 1997 bei der Beklagten (B.) zunächst bis 2017 in einer Betriebsstätte in Berlin beschäftigt, danach zu 100 % im Homeoffice in einem virtuellen internationalen Team. B. kündigte das Arbeitsverhältnis im November 2021 außerordentlich mit einer – der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden – Auslauffrist zum 30. Juni 2022 und bot dem Kl. gleichzeitig die Weiterbeschäftigung in Großbritannien an, was der Kl. ablehnte. Kl. wendet u. a. ein, die Kündigung sei nach Art. 110 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Landes Brandenburg (BbgVerf) unwirksam. Das Arbeitsgericht hat die Klage, das Landesarbeitsgericht (LAG) die Berufung des Kl. zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt dieser sein Begehren weiter.

Gründe (Art. 110 BbgVerf betreffend): Die ordentliche Kündigung war nicht durch Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf ausgeschlossen. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist nicht eröffnet.
a) Nach Maßgabe des Staatsvertrags über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26.4.2004 kann der Kl. sich nicht auf Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf berufen. Nach dieser Vorschrift ist eine Kündigung ehrenamtlicher Richter während ihrer Amtszeit nur zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, die zur fristlosen Kündigung berechtigen. Der Kl. war zwar ehrenamtlicher Richter beim LAG Berlin-Brandenburg. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 4 des Staatsvertrags hat das LAG Berlin-Brandenburg seinen Sitz aber in Berlin. Gemäß Art. 4 Abs. 1 des Staatsvertrags werden auf die am LAG Berlin-Brandenburg eingesetzten Richter deshalb einheitlich die Vorschriften angewendet, die im Land Berlin gelten. Das gilt ebenso für ehrenamtliche Richter – und zwar gerade auch dann, wenn sie die Berufungsvoraussetzungen des § 21 Abs. 1 ArbGG im Land Brandenburg erfüllen. Mit dem umfassenden Begriff des „Richters“ in Art. 4 Abs. 1 des Staatsvertrags sind – in Abgrenzung zu den nichtrichterlichen Bediensteten (vgl. Art. 7 des Staatsvertrags) – sowohl Berufs- als auch ehrenamtliche Richter angesprochen. Für ehrenamtliche Richter finden die richterrechtlichen Vorschriften ebenfalls Anwendung, soweit dies gesondert bestimmt ist (vgl. §§ 1, 2 DRiG sowie § 1 Abs. 1 Satz 2 RiGBln und BbgRiG). Würden sie nicht von Art. 4 Abs. 1 des Staatsvertrags erfasst, griffen für sie verschiedene Vorschriften ein, obgleich sie am selben Gericht tätig sind. Zudem wäre es unmöglich festzustellen, ob es sich um einen ehrenamtlichen Richter des Landes Berlin oder des Landes Brandenburg handelt, wenn er z. B. in Berlin berufstätig ist (§ 21 Abs. 1 Alt. 1 ArbGG), aber in Brandenburg wohnt (§ 21 Abs. 1 Alt. 2 ArbGG). Demgegenüber kann aus Art. 6 des Staatsvertrags nicht gefolgert werden, der Begriff des „Richters“ in Art. 4 des Staatsvertrags umfasse allein die Berufsrichter und nicht auch die ehrenamtlichen Richter. Art. 6 des Staatsvertrags grenzt beide Gruppen allein deshalb voneinander ab, weil sie verschiedenen Regelungen zum Eid bzw. Gelöbnis unterliegen (vgl. §§ 38, 45 DRiG und § 2 RiGBln und BbgRiG). Es kann dahinstehen, in welchem Rang der Staatsvertrag steht und ob er die Landesverfassung modifizieren könnte. Letztere gibt nicht vor, dass es ein LAG mit Sitz im Land Brandenburg geben muss. Im Land Berlin existiert kein Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf entsprechende Bestimmung.

b) Dessen ungeachtet greift Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf im Streitfall auch deshalb nicht ein, weil die B. nicht zum „Staatsvolk“ des Landes Brandenburg rechnete, und sie deshalb das Verbot des Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf nicht adressierte.
aa) Die Verfassung des Landes Brandenburg richtet sich nach ihrem Art. 3 lediglich an das „Staatsvolk“. Natürliche Personen gehören diesem nach Abs. 1 der Bestimmung an, wenn sie ihren ständigen Wohnsitz im Land Brandenburg haben. Das betrifft nach Art. 3 Abs. 2 BbgVerf nicht nur ihre Rechte, sondern auch ihre Verpflichtungen. Dementsprechend wird der Arbeitgeber eines ehrenamtlichen Richters an einem – unterstellt – brandenburgischen Gericht lediglich von Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf adressiert, wenn er seinserseits zum „Staatsvolk“ zählt. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob dies nur der Fall ist, wenn er im Land Brandenburg einen Betrieb unterhält (so Lieber, in: Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, 2012, Art. 110, S. 675; Eylert, FS Bepler, 2012, S. 145, 152), oder schon dann, wenn er nur über eine Betriebsstätte im Land Brandenburg verfügt. Jedenfalls genügt es nicht, wenn der Arbeitnehmer zwar an seinem Wohnsitz in Brandenburg tätig ist, er damit jedoch keinen arbeitstechnischen Zweck eines Betriebs seines Arbeitgebers im Bundesgebiet fördert. Zumindest dann kann sein Wohnsitz nicht als „betriebliche Struktur“ des Arbeitgebers im Land Brandenburg verstanden werden.
bb) Ein Wohnsitz des Arbeitnehmers im Land Brandenburg ist nicht für sich genommen ausreichend, weil Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf dem Schutz der dortigen ehrenamtlichen Richter und der Funktionsfähigkeit der brandenburgischen Gerichte dienen könnte. Diese möglichen Zwecke zwingen nicht zu der Annahme, der Verfassungsgeber des Landes Brandenburg habe sie um den Preis verfolgen wollen, dass Arbeitgeber mit dem „starken“ Sonderkündigungsschutz belastet werden, obwohl sie auch bei weitestem Verständnis keinen betrieblichen Bezug zum Land Brandenburg aufweisen.
Das gilt zum einen vor dem Hintergrund, dass die Sonderbelastung des Arbeitgebers im Lichte von dessen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG kaum zu rechtfertigen wäre. Zum anderen ist der Schutz ehrenamtlicher Richter vor Benachteiligungen aufgrund ihrer Richtertätigkeit und insoweit auch die Funktionsfähigkeit der brandenburgischen Gerichte durch § 26 Abs. 1 ArbGG bzw. § 45 Abs. 1a Satz 3 DRiG ausreichend gewährleistet. Dafür kommt es auf einen betrieblichen Bezug des Arbeitgebers zum Land Brandenburg nicht an.

Anmerkung: Im Ergebnis zutreffend stellt das BAG fest, dass sich ein ehrenamtlicher Richter auf den besonderen Kündigungsschutz des Art. 110 BbgVerf nicht berufen kann, wenn Arbeitgeber oder Arbeitsverhältnis nicht dem Geltungsbereich des Gesetzes unterfallen. Dies ist im vorliegenden Fall eindeutig, da weder Arbeitgeber noch Arbeitsverhältnis einen Bezug zum Land Brandenburg und damit zur Anwendung des Landesrechts aufweisen (zum Geltungsbereich der Norm in den einzelnen Variationen von Wohn- und Unternehmenssitz vgl. Lieber, in: Iwers/Lieber, Die Verfassung des Landes Brandenburg, 2025, Art. 110 Rn. 25 f.). Damit hätte es in dem Urteil sein Bewenden haben können. Die Revision muss erfolglos bleiben.
Mindestens missverständlich ist allerdings die Feststellung des Urteils unter Bezugnahme auf Art. 3 BbgVerf, Adressat des Kündigungsschutzes sei der Arbeitgeber eines ehrenamtlichen Richters an einem brandenburgischen Gericht nur, wenn er seinerseits zum „Staatsvolk“ zähle. Art. 3 definiert, wer zum Staatsvolk gehört: deutsche Staatsangehörige, also natürliche Personen. Arbeitgeber kann auch eine juristische Person sein, die per definitionem nicht zum Staatsvolk gehört, gleichwohl – wenn die Voraussetzungen im Übrigen vorliegen – der Geltung des Art. 110 BbgVerf unterworfen ist. Die Bedeutung dieser Bemerkung bleibt offen, da sie für die Entscheidung keine Bedeutung hat. Der weitergehenden Interpretation, dass der Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg über gemeinsame Obergerichte dem besonderen Schutzrecht des Art. 110 BbgVerf für ehrenamtliche Richter aus Brandenburg an einem gemeinsamen Obergericht mit Sitz in Berlin die Geltung nehme, weil der Staatsvertrag für die Richter das Recht des jeweiligen Sitzlandes zur Anwendung bringe, muss nachdrücklich widersprochen werden.

a. Zur Begründung nimmt der Senat – isoliert vom Zusammenhang – Bezug auf einen einzigen Satz aus Art. 4 des Staatsvertrages und setzt ehrenamtliche und Berufsrichter gleich. Er übergeht dabei, dass der Gesamtzusammenhang der in Art. 2 bis 5 genannten Rechtsinstitute nur auf Berufsrichter Anwendung findet (Wahl, Ernennung, Abordnung von Richtern; Richter auf Probe, kraft Auftrags und im Nebenamt; Dienstaufsicht über und Disziplinarmaßnahmen gegen Richter; Richteranklage). Da die Berufsrichter des gemeinsamen Obergerichts in einem Dienstverhältnis zum Land Brandenburg oder Berlin stehen, muss für den Fall eines dienst- oder disziplinarrechtlichen Konflikts geklärt werden, wer nach welchen Regeln für die Behandlung dieses Konfliktes zuständig ist. Für die ehrenamtlichen Richter ist eine solche Regelung nicht erforderlich, da sie sich in keinem Dienstverhältnis befinden und die das Ehrenamt betreffenden Wahl-, Status- und Sanktionsregeln sich aus dem jeweils einschlägigen Bundesrecht ergeben (GVG, ArbGG, SGG, FGO, VwGO). Für die Vereidigung der ehrenamtlichen Richter hat das Bundesrecht eine Öffnung für das Landesrecht, da die Länder auch die Vereidigung auf die Landesverfassung vorsehen können (§ 45 Abs. 7 DRiG). Art. 6 des Staatsvertrages sieht – unter ausdrücklicher Nennung der ehrenamtlichen Richter – vor, dass der Eid oder das Gelöbnis auf das Grundgesetz sowie „getreu den Verfassungen der Länder Berlin und Brandenburg“ geleistet wird. Hinsichtlich der ehrenamtlichen Richter gibt es ansonsten nur landesrechtlichen Regelungsbedarf, soweit Zuständigkeiten für deren Wahl, Berufung oder Ernennung zu treffen sind (was Art. 14 bis 20 regeln), oder hinsichtlich der Verteilung der Kosten ihrer Entschädigung auf die vertragschließenden Länder (vgl. Art. 22). Statusfragen – wie in Art. 2 bis 5 des Staatsvertrages – sind bezüglich der ehrenamtlichen Richter nicht betroffen. Sowohl die Tatsache, dass ehrenamtliche Richter im Staatsvertrag ausdrücklich genannt werden, wenn eine Regel auf sie anwendbar sein soll, als auch der Mangel an Regelungsbedarf schließt die Annahme aus, mit der Erwähnung von „Richtern“ seien ehrenamtliche automatisch mit umfasst.

b. Der besondere Kündigungsschutz nach Art. 110 BbgVerf betrifft Arbeits- und Dienstverhältnisse der ehrenamtlichen Richter, nur mittelbar die Gerichtsorganisation. Die Verfassung schützt vor Benachteiligungen, die während der Ausübung ihres Ehrenamtes entstehen können. Deshalb ist die abschließende Schlussfolgerung des Senates unzutreffend, der Schutz ehrenamtlicher Richter vor Benachteiligungen aufgrund ihrer Richtertätigkeit sei „durch § 26 Abs. 1 ArbGG bzw. § 45 Abs. 1a Satz 3 DRiG ausreichend gewährleistet“. Beide Vorschriften schützen den ehrenamtlichen Richter nur vor Benachteiligungen „wegen der Übernahme oder Ausübung des Amtes“. Weil hinsichtlich dieses Zusammenhanges die Beweislast im Zweifel dem ehrenamtlichen Richter obliegt und Umgehungen durch den Arbeitgeber bzw. Dienstherrn in der Praxis nicht ausgeschlossen werden können, hat sich der Verfassungsausschuss in Brandenburg seinerzeit meiner Anregung angeschlossen, den Schutz vom Zusammenhang mit der Amtsausübung bzw. -übernahme zu entkoppeln. Ehrenamtlichen Richtern soll Schutz gegen jede Kündigung während der Amtszeit gewährt werden, soweit nicht Gründe für eine fristlose Kündigung vorliegen, auch gegen die Möglichkeit vorgeschobener Gründe, die in Wahrheit das Engagement im Ehrenamt betreffen. Diesen über das Bundesrecht hinausgehenden Schutz durch Landesrecht und die Kompetenz des Landesgesetzgebers hierzu hat das BVerfG auf eine Vorlage gemäß Art. 100 GG mit der Entscheidung vom 11.4.2000 (1 BvL 2/00, juris Rn. 32 unter Bezugnahme auf die Erläuterung bei Postier/Lieber in: Simon/Franke/Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, 1994, § 19 Rn. 22) bestätigt. Dass damit bei einem gemeinsamen Gericht der ehrenamtliche Richter aus Brandenburg einen höheren Schutz genießt als der Berliner, kann nicht dazu führen, dem Brandenburger den Schutz abzuerkennen. Eine solche Kompetenz, verfassungsrechtlichen Schutz zu reduzieren, käme einem Staatsvertrag nicht zu.

c. Bedenklich ist die Argumentation des Senates, dass „die Sonderbelastung des Arbeitgebers im Lichte von dessen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG kaum zu rechtfertigen wäre“. Im konkreten Fall greift Art. 110 BbgVerf schon deswegen nicht, weil der Arbeitgeber mangels betrieblichen Bezugs zum Land Brandenburg nicht Adressat der Regelung ist. Das Gericht geht aber darüber hinaus und greift die Regelung verfassungsrechtlich an. Damit setzt es sich in Widerspruch zum BVerfG, das die Norm sowohl kompetenzrechtlich wie inhaltlich geprüft hat (Urteil vom 11.4.2000, Az.: 1 BvL 2/00, juris Rn. 12). Der Bundesgesetzgeber hat in Umsetzung dieser Entscheidung § 45 Abs. 1a DRiG dahingehend erweitert, dass über den Schutz der Norm hinausgehende landesrechtliche Regelungen zulässig sind. Da der Senat Satz 3 der Vorschrift zitiert, dürfte er Satz 4 kaum übersehen haben (ausführlich Lieber, in: Iwers/Lieber, Die Verfassung des Landes Brandenburg, 2025, Art. 110 Rn. 21 f.). (hl)


Zitiervorschlag: BAG: Geltung des Art. 110 BbgVerf für ehrenamtliche Richter am LAG Berlin-Brandenburg, in: LAIKOS Journal Online 3 (2025) Ausg. 2, S. 65-67.

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