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VGH Baden-Württemberg: Verschwiegenheitspflicht eines ehrenamtlichen Richters

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  1. Zu den amtsbezogenen Pflichten eines ehrenamtlichen Richters, deren Verletzung eine gröbliche Amtspflichtverletzung im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 2 VwGO begründet, gehört die Wahrung des Beratungs- und Abstimmungsgeheimnisses gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 43 DRiG.
  2. Im Zeitraum nach der Fällung des Urteils (vgl. § 112 VwGO) durch Beschlussfassung der Mitglieder des Spruchkörpers in geheimer Beratung und Abstimmung bis zur willentlichen Entäußerung der Urteilsformel durch die Übermittlung an die Geschäftsstelle (vgl. § 116 Abs. 2 Halbsatz 2 VwGO), vor der das Urteil nicht – im Sinne seiner Unabänderbarkeit für das Gericht bindend (vgl. § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 318 ZPO) – wirksam wird, handelt es sich bei der gefällten Entscheidung um ein abänderbares Internum, dessen Geheimhaltung das Beratungs- und Abstimmungsgeheimnis verlangt.
  3. Ein ehrenamtlicher Richter, der eine gröbliche Amtspflichtverletzung begangen hat, bietet bereits dann nicht die erforderliche Gewähr, künftig die verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Pflichten bei der Ausübung des Amtes einzuhalten, wenn hieran bei prognostischer Betrachtung nach Würdigung der Umstände des Einzelfalls ernsthafte Zweifel bestehen. (Leitsätze d. Gerichts)

Zusammenfassung: Der 2020 gewählte ehrenamtliche Richter nahm am 10.7.2024 erstmalig an einer Sitzung des VG teil. Die Entscheidung sollte anstelle einer mündlichen Verkündung den Parteien zugestellt werden. Die Akte mit der am 10.7. gefassten Entscheidung wurde der Geschäftsstelle am 11.7.2024 übergeben. Bereits am 10.7.2024 hatte der ehrenamtliche Richter auf einem Messenger gepostet: „Heute zehneinhalb Stunden als ehrenamtlicher Richter am Verwaltungsgericht […] mein Gehirn in die Waagschale geworfen. Fünf Widerspruchsbescheide der […] hat die 14. Kammer aufgehoben.“ Der VGH hat auf Antrag des Präsidenten des VG den ehrenamtlichen Richter vom Amt entbunden, weil er seine Amtspflichten gröblich verletzt hat (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Der ehrenamtliche Richter habe das Beratungs- und Abstimmungsgeheimnis verletzt und es sei nicht ernsthaft davon auszugehen, dass er sich künftig amtspflichtkonform verhalten werde.
Nach dem Beschluss des Urteils durch die Mitglieder des Spruchkörpers und der Übermittlung an die Geschäftsstelle handelt es sich bei der gefällten Entscheidung noch um ein abänderbares Internum, das dem Beratungsgeheimnis unterliegt. Eine Offenbarung gefährdet die Entscheidung, in eine erneute Beratung einzutreten und die Autorität des später bekannt gegebenen geänderten Urteils. Zudem habe er das Abstimmungsgeheimnis verletzt, weil die Nachricht aus der Perspektive des objektiven Lesers nur so verstanden werden könne, dass der ehrenamtliche Richter mit einem zwischen den Zeilen mitschwingenden Stolz davon berichte, für die Aufhebung der in den Klageverfahren angefochtenen Widerspruchsbescheide in der Beratung eingetreten zu sein und abgestimmt zu haben, sich damit die Entscheidung inhaltlich zu eigen gemacht hätte („[…] haben wir aufgehoben“).

Anmerkung: Das Urteil verdient in zweierlei Hinsicht Interesse. Zum einen stellt es im Gegensatz zu der Entscheidung des KG bezüglich der Aushändigung einer Urteilsabschrift an Schöffen klar, dass der ehrenamtliche Richter auch nach der Hauptverhandlung keine „Privatperson“ ist, sondern den Regularien seines Amtes unterliegt. Zum anderen verwundert, mit welcher Bemühtheit der VGH die Amtspflichtverletzung begründet. Der Messenger-Post wäre keine Pflichtverletzung gewesen, wenn die Akte sofort nach der Sitzung an die Geschäftsstelle gegeben worden wäre und nicht erst am nächsten Tag. Aus der Bemerkung „mein Gehirn in die Waagschale geworfen“ auf das Abstimmungsverhalten des ehrenamtlichen Richters zu schließen, klingt ebenfalls merkwürdig. Mit seinem Urteil tritt das erkennende Gericht generell einmütig auf. Dem unbefangenen Leser drängt sich auf, dass hinter den Gründen mehr stecken muss als nur der Post. Erst durch die Berichterstattung in der Presse wurde offenbar, dass es sich bei dem Amtsenthobenen um einen AfD-Gemeinderat und -Bundestagskandidaten handelte, der drei Wochen nach der Entscheidung des VGH vom AG Offenburg (Ortenaukreis) wegen des Verwendens nationalsozialistischer Symbole, die er mit der Regenbogenflagge gleichsetzte, zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung verurteilt wurde.1 Hier wäre eine Amtsenthebung wasserdicht gewesen, weil sie auf einem offen zutage tretenden verfassungsfeindlichen Verhalten beruht hätte. Das Mitleid mit dem Betroffenen hält sich dabei in engen Grenzen. Der VGH hat außer Acht gelassen, dass Urteile von Obergerichten Nachwirkungen haben. Diese – bei der Auslegung des Abstimmungsverhaltens sehr eng gefassten – Gründe können künftig gegen jeden unliebsamen ehrenamtlichen Richter herangezogen werden. Man kann sich auf die gerichtliche Autorität berufen. Zudem steht die Auslegung zur Verletzung des Abstimmungsgeheimnisses („… haben wir aufgehoben“) in Widerspruch zur Großzügigkeit der Rechtsprechung gegenüber berufsrichterlichen Kollegen. Man denke auch hier an den oben erwähnten „Fall Josefine“, als der Vorsitzende der Limburger Strafkammer in der mündlichen Begründung offenbarte, das Urteil sei nicht einstimmig zustande gekommen. Das ist eine Rechtsprechung nach dem Grundsatz „Quod licet Iovi, non licet bovi“ (Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt). (hl)

Link zum Volltext der Entscheidung


  1. Ulf Seefeldt/Paulina Flad, Regenbogenflaggen mit Hakenkreuzfahnen verglichen: Gericht verurteilt Offenburger AfD-Stadtrat, SWR aktuell vom 22.11.2024; Aufstehen gegen Rassismus Offenburg, Blog vom 20.12.2024 [Abruf: 24.4.2025]. ↩︎

Zitiervorschlag: VGH Baden-Württemberg: Verschwiegenheitspflicht eines ehrenamtlichen Richters, in: LAIKOS Journal Online 3 (2025) Ausg. 1, S. 26-27.

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