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Europäischer Tag der Ehrenamtlichen Richter 2025 in Bergamo

Ursula Sens

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Abstract
Der Europäische Tag der Ehrenamtlichen Richter 2025 in Bergamo bot den Mitgliedsverbänden des Europäischen Netzwerks ENALJ Gelegenheit, aktuelle und strukturelle Entwicklungen des richterlichen Ehrenamtes in den europäischen Staaten zu diskutieren. Die Generalversammlung befasste sich mit künftigen Aufgaben des Europäischen Netzwerks, wie ethische Grundsätze, ein EU-Projekt zur Weiterbildung und Voraussetzungen des Zugangs zum richterlichen Ehrenamt.

The European Day of Lay Judges 2025 in Bergamo offered an opportunity for member associations of the European Network ENALJ to discuss current and structural developments in the office of lay and honorary judges in European countries. The General Assembly addressed the future tasks of the European Network, such as ethical principles, an EU project for the further training, and the requirements for access to honorary judicial office.

Der diesjährige „Europäische Tag der Ehrenamtlichen Richter“ vom 9. bis 11. Mai 2025 in Bergamo wurde vom italienischen Verband der ehrenamtlichen Richter (Unione Nazionale Italiana Magistrati Onorari, U.N.I.M.O.) ausgerichtet. Die perfekte Organisation war insbesondere Dr. Alessia Perolio und Dr. Angiola Arancio zu verdanken. Vier deutsche Mitgliedsverbände (von sechs) des „Europäischen Netzwerks der Vereinigungen Ehrenamtlicher Richter“ (European Network of Associations of Lay Judges, ENALJ) nahmen teil. Der Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter wurde von Petra Pinnow vertreten, die erneut beigetretene Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen – Bund ehrenamtlicher Richterinnen und Richter – Landesverband Nordrhein-Westfalen von Michael Cordes, der Verein der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter des Bundessozialgerichts von Michael Mietsch und Bruno Rattey und die PariJus gGmbH von Ursula Sens.

Der Freitagabend diente traditionell dem informellen Austausch und Kennenlernen der Teilnehmer aus den Mitgliedsverbänden. Am 10. Mai 2025 wurden die Teilnehmer zum Auftakt des „Europäischen Tages der Ehrenamtlichen Richter“ in der Casa del Giovane begrüßt von der Rechtsanwältin Claudia Lenzini als Vertreterin der Stadt Bergamo und Dr. Giordana Bresciani, Mitglied des Justizrates, Sektion Ehrenamtliche Richter. Der Präsident der Anwaltskammer Bergamo übermittelte ein schriftliches Grußwort, in dem er die Arbeitsbelastung der ehrenamtlichen Richter – vor allem in Bergamo – beklagte. Diese habe auch Auswirkungen auf zeitnahe und effiziente Justizdienstleistungen. Er appellierte an das Justizministerium, eine umfassende und strukturelle Reform der ehrenamtlichen Richter durchzuführen. Nur so könne das Vertrauen der Bürger gestärkt und dem Verfassungsgrundsatz des ordnungsgemäßen Verfahrens Rechnung getragen werden.

Thema der Veranstaltung zum „Europäischen Tag der Ehrenamtlichen Richter“ war die aktuelle Lage in Italien. Der Beitrag der Rechtsanwältin Sabrina Ghezzi, Dozentin für Familienrecht an der Universität Bergamo, widmete sich der Jugendgerichtsbarkeit. Die sog. Cartabia-Reform – benannt nach der damaligen Justizministerin Marta Cartabia – habe die wichtige Beteiligung ehrenamtlicher Richter in Verhandlungen mit Minderjährigen eingeschränkt und damit die Qualität der Jugendgerichte beeinträchtigt. Die Jugendgerichtsbarkeit dürfe nicht nur Effizienz und Verfahrensdauer im Blick haben, sondern habe das Wohl der Minderjährigen in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu sei eine Synergie zwischen justiziellen und fürsorgerischen Ansätzen unerlässlich, damit multidisziplinär und angemessen auf die Bedürfnisse von Minderjährigen und Familien reagiert werden könne, insbesondere bei der Entfernung eines Kindes aus seiner Familie. Die Cartabia-Reform sei deshalb zu reformieren.

Dr. Rosita Silvestre, Stipendiatin an der Universität von Kampanien Luigi Vanvitelli in Neapel, berichtete über die Missstände des richterlichen Ehrenamtes in Italien. Der deutschen Sicht ist das richterliche Ehrenamt in Italien etwas fremd, da es keinen „ehrenamtlichen“ Charakter, aber auch nicht den Status wie ein Berufsrichter hat. Ehrenamtliche und Friedensrichter haben eine juristische Ausbildung und arbeiten zum Teil auch als Rechtsanwälte.1 Bestimmte Angelegenheiten, die Bürger betreffen, werden ausschließlich von den ehrenamtlichen Richtern behandelt: Schadenersatz wegen eines Verkehrsunfalls, Streit mit einem Nachbarn, Erstattung wegen eines verspäteten Fluges usw. Wird ein Bürger wegen Diebstahls, Körperverletzung oder Betrugs angeklagt, steht er vor Gericht einem (ehrenamtlichen) sog. Stellvertretenden Staatsanwalt gegenüber; die Entscheidung trifft oft ein ehrenamtlicher Richter. Die Europäische Kommission hatte der italienischen Regierung bereits im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens (Nr. 2016/4081) vorgeworfen, dass die für ehrenamtliche Richter geltenden nationalen Vorschriften nicht vollständig mit den EU-Vorschriften im Bereich des Arbeitsrechts in Einklang stehen. Die Beanstandungen betrafen u. a. Status, befristete Arbeitsverträge und deren Verlängerung, Vergütung.

Rechtsanwältin Dr. Alessia Perolio befasste sich mit der aktuellen Reform des richterlichen Ehrenamtes in Italien durch das am 1. Mai 2025 in Kraft getretene Gesetz Nr. 51/2025, auf Grund dessen die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Stellung der amtierenden ehrenamtlichen Richter verbessert und ihr Status als Arbeitnehmer gesetzlich verankert wird. Von der Reform betroffen sind nur die aktuell im Amt befindlichen Richter. Die ehrenamtlichen Richter sind entweder 36 Stunden pro Woche als sog. „ausschließliche“ Richter oder 16 Stunden in Teilzeit beschäftigt. Ausschließliche ehrenamtliche Richter dürfen ihre Aufgaben nicht im Bezirk des Gerichts ausüben, in dem Ehegatte, Lebenspartner oder bestimmte Verwandte als Rechtsanwalt tätig sind. Ehrenamtlich tätige Stellvertretende Staatsanwälte nehmen die Aufgaben der Staatsanwaltschaft in Verfahren vor dem Friedensrichter, ggf. auch vor einem ehrenamtlichen Richter wahr. Als wichtigen Meilenstein bezeichnete Dr. Perolio die Aufnahme der ehrenamtlichen Richter in die staatlichen Sozialversicherungen wie Unfall-, Kranken-, Arbeitslosen- und Mutterschaftsversicherung sowie in die Pensionskasse.

Die Familie der europäischen Organisationen ist weiter gewachsen.2 Mehrere Verbände hatten den Beitritt zum Europäischen Netzwerk beantragt: ein polnischer Verband der Laienrichter (Stowarzyszenie Lawnikow Polskich), drei spanische Verbände der ehrenamtlichen Richter und Staatsanwälte (Asociación Plataforma Judicatura Interina, Asociación Pro Dignidad de Jueces Sustitutos y Magistrados Suplentes, Asociación de Fiscales Sustitutos de Espana) und der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen – Bund ehrenamtlicher Richterinnen und Richter –, der bereits von 2013 bis 2023 Mitglied war. Die Europabeauftragte des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter verlas eine Erklärung des Präsidenten des Bundesverbandes gegen den Beitritt des DVS-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. In Deutschland gebe es eine Vereinbarung, wonach die Mitgliedschaft in ENALJ ausschließlich dem Bundesverband vorbehalten sei. Dem widersprach ENALJ-Generalsekretär Hasso Lieber. Eine solche „Vereinbarung” sei mit der satzungsmäßig föderalen Struktur des Bundesverbandes als Dachverband unvereinbar. Der antragstellende Landesverband sei ein selbstständiger Verein und ein Eingriff in die Vereinsautonomie ein Verstoß gegen deutsches Recht, der nicht allein den Antragsteller, sondern auch deren einzelne Mitglieder in der Beteiligung an der europäischen Zusammenarbeit einschränke. Eine solche Vereinbarung sei daher auch anti-europäisch. Nach Vorstellung der Verbände und Begründung ihrer Anträge zum Beitritt wurden die fünf neuen Mitgliedsverbände einstimmig (bezüglich des DVS-Landesverbandes NRW gegen die Stimme des deutschen Bundesverbandes) in das Europäische Netzwerk aufgenommen.

In den Berichten aus den europäischen Ländern wurde erneut die zunehmende Einschränkung der Beteiligung ehrenamtlicher Richter beklagt. Während Repräsentanten aus Justiz und Politik die Bedeutung der Mitwirkung ehrenamtlicher Richter betonten, sehe die Realität anders aus. Neben dem Wegfall der Beteiligung in bestimmten Gerichtsbarkeiten durch Justizreformen wurden auch mangelnde Schulung und Information sowie Beeinträchtigungen im zivilen Beruf durch den Einsatz beim Gericht beklagt. Kritische Anmerkungen wurden auch in Bezug auf die Auswahl geeigneter Personen für das richterliche Ehrenamt gemacht. Der PariJus-Bericht für Deutschland wies auf die widersprüchliche Rechtsprechung zum Status ehrenamtlicher Richter nach der Urteilsverkündung sowie auf die Debatte zur Abschaffung der Schöffen hin.

Die Teilnehmer am Europäischen Tag der Ehrenamtlichen Richter
Foto: Mimo Garcia
v.li.n.re.: Rainer Sedelmayer, Hasso Lieber
Foto: Ursula Sens

Die Stärkung der Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Rechtsprechung in Europa wird daher ENALJ und seine Mitgliedsorganisationen in besonderer Weise fordern. Dazu zählt auch die Erarbeitung ethischer Grundsätze für ehrenamtliche Richter in Europa. Hasso Lieber erläuterte den aktuellen Stand. Um einheitliche Standards zu Rolle und Verhalten der ehrenamtlichen Richter zu definieren, müssten im ersten Schritt die unterschiedlichen Systeme der Mitwirkung ehrenamtlicher Richter an der Rechtsprechung in den europäischen Staaten analysiert werden. Rainer Sedelmayer erläuterte weitere Problemfelder, mit denen sich ENALJ befassen wird, wie die Auswahl geeigneter Personen unter qualitativen Gesichtspunkten, Altersgrenzen, Entschädigung und Zugang zum richterlichen Ehrenamt für EU-Bürger. Die Vizepräsidentin für Schulung und Weiterbildung Margherita Morelli hat die Einrichtung einer Gleichstellungskommission vorgeschlagen. Die Gleichstellung von ehrenamtlichen Richtern in den europäischen Systemen soll durch den Austausch von Erfahrungen und die Entwicklung von Best Practice-Konzepten gefördert werden. Weiterhin informierte sie über einen Antrag zur Fortsetzung des EU-Projekts SELECT, das als SELECT D & D die ehrenamtlichen Richter über Datenschutz und Digitalisierung schulen soll.3

Bei der Neuwahl des Präsidiums hatten sich alle Mitglieder des Präsidiums zur Weiterführung ihrer Ämter bereiterklärt: Rainer Sedelmayer (Österreich) als Präsident, Prof. Piotr W. Juchacz (Polen) als Vizepräsident für Wissenschaft und Forschung, Margherita Morelli (Italien) als Vizepräsidentin für Schulung und Weiterbildung; Paulette Vercauteren (Belgien) als neue Generalsekretärin und Hasso Lieber (Deutschland) als neuer Vizepräsident für EU-Angelegenheiten tauschten die bisherigen Funktionen.
Zum Schluss informierte der Präsident über den Termin der nächsten Generalversammlung: 8. bis 10. Mai 2026; der Ort wird noch festgelegt.

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  1. Überblick über das differenzierte System ehrenamtlicher Richter in Italien: Alessia Perolio/Margherita Morelli, I Giudici Laici e Onorari in Italia, LAIKOS Journal Online 2024, S. 38-41. ↩︎
  2. Übersicht über alle Mitgliedsverbände. ↩︎
  3. Die EU-Kommission hat das beantragte Projekt im Juli 2025 abgelehnt. ↩︎

Zitiervorschlag: Ursula Sens, Europäischer Tag der Ehrenamtlichen Richter 2025 in Bergamo, in: LAIKOS Journal Online 3 (2025) Ausg. 2, S. 57-59.

Über die Autoren

  • Geschäftsführerin PariJus gGmbH, 1994 bis 2018 Vorsitzende Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen – Bund ehrenamtlicher Richterinnen und Richter – Landesverband NRW e. V., 1995 bis 2022, Heft 1 Mitarbeit Redaktion „Richter ohne Robe“

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