LG Dortmund: Besorgnis der Befangenheit einer Schöffin wegen privater Notizen
Misstrauen gegen die Unparteilichkeit einer Schöffin ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass sie ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit beeinflussen kann. (Leitsatz d. Red.)
LG Dortmund, Beschluss vom 8.11.2024 – 45 Ns 131/22
Sachverhalt: Der Angeklagte beantragt, die Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit vom Verfahren auszuschließen. Sie habe ab 14:00 Uhr bei der Verlesung eines Chatverlaufs durch den Vorsitzenden in einem schwarzen DIN-A5-Notizbuch Notizen gemacht. Bisher habe sie Notizen auf einem DIN A4 Papier gemacht, das sich auch am Sitzungstag auf ihrem Tisch befunden habe. Die Notizen habe sie – wie bei einer Einkaufsliste – untereinander auf mindestens drei Seiten gemacht, weil sie umgeblättert und auf den Folgeseiten links und rechts Notizen von oben bis unten gefertigt habe. Wiederholt habe sie links und rechts die Aufzeichnungen gezählt und weiter Notizen gemacht, die jedoch nie im Zusammenhang mit dem Vorgelesenen erfolgt seien. Offenkundig habe sie keine Notizen zu den verlesenen Chats gemacht. Um exakt 14:19 Uhr habe sie das Buch zugeklappt und die Notizen beendet, obwohl der Vorsitzende weiter verlesen habe. Auf Nachfrage hat die Schöffin bestätigt, dass die Notizen nichts mit dem Verfahren zu tun gehabt hätten. In ihrer dienstlichen Stellungnahme führte sie aus, dass sie während der Verhandlung Kritzeleien gemacht habe, die nicht unmittelbar mit dem Verfahren in Verbindung gestanden hätten. Diese hätten jedoch nicht der Ablenkung, sondern vielmehr dazu gedient, ihre Konzentration zu bewahren. Das Kritzeln sei für sie eine bewährte Technik, die sie regelmäßig nutze –- auch während ihres Studiums –, um bei längeren Vorträgen konzentriert zu bleiben und nicht gedanklich abzuschweifen. Trotz des Kritzelns habe sie die Verlesung des Chats durch den Vorsitzenden Richter aufmerksam verfolgt.
Gründe: Unstreitig hat die Schöffin über einen Zeitraum von 19 Minuten Notizen gemacht und zwischendurch Punkte ihrer Notizen abgezählt. Das lässt es aus der Sicht eines verständigen Angeklagten nicht unwahrscheinlich erscheinen, dass die Schöffin über einen nicht nur kurzen Zeitraum der Beweisaufnahme mit verfahrensfremden Angelegenheiten beschäftigt war, zumal sie auf Nachfrage, ob die Notizen etwas mit dem Verfahren zu tun gehabt hätten, umgehend mit „Nein“ geantwortet hat. Angesichts der Länge des Vorgangs lässt das für einen verständigen Betrachter den Eindruck der Befangenheit zu. Hieran ändert auch die dienstliche Erklärung nichts, die Kritzeleien hätten nur ihrer Konzentrationshilfe gedient.
Quelle: Burhoff-Online [Abruf: 15.11.2024]
Zitiervorschlag: LG Dortmund: Besorgnis der Befangenheit einer Schöffin wegen privater Notizen, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 3, S. 127.