Rudolf Wassermann zum 100. Geburtstag
Ursula Sens
Rudolf Wassermann (* 5.1.1925, † 13.6.2008) war zeitlebens ein Verfechter der Bürgerbeteiligung in der Justiz und setzte sich für das richterliche Ehrenamt ein. Die Ansprache anlässlich seiner Amtseinführung am 24. Mai 1968 als Landgerichtspräsident in Frankfurt am Main war wegweisend. Zur „inneren Justizreform“ gehörte für ihn auch der engere Kontakt zu ehrenamtlichen Richtern.1 Nach seiner Ernennung zum Präsidenten des OLG Braunschweig 1971, von öffentlichen Protesten aus der konservativen Richterschaft begleitet, setzte er sein Engagement für das richterliche Ehrenamt fort. 1982 schrieb er, dass sich echte Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter nur entfalten könne, wenn sie auf ihre Aufgabe vorbereitet und fortgebildet, durch die Berufsrichter akzeptiert und ermutigt werden und ihre Auswahl verbessert wird. Man müsse den Schöffen die Chance geben, sich in ihrem Amt zu orientieren. Er äußerte sich auch konkret zu Fortbildungsmaßnahmen. So habe er schon im Landgericht Frankfurt am Main Veranstaltungen unter dem Motto „Wo den Schöffen der Schuh drückt“ initiiert. Das habe allerdings dazu geführt, dass die Schöffen immer anspruchsvoller geworden seien, da sie auch über Schuld und Strafe, Kriminalpolitik und Kriminologie, Glaubwürdigkeit von Aussagen, Strafzumessung und Resozialisierung informiert werden wollten. Er warnte vor einem Übermaß – der Schöffe dürfe kein Mini-Jurist werden. Die Wissensvermittlung sei auf das zu beschränken, was der ehrenamtliche Richter zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Die ehrenamtlichen Richter in anderen Gerichtsbarkeiten wünschten sich ebenso eine Intensivierung der Schulungen. Wassermann erkannte, dass sich die Rechtspflege zunehmend verwissenschaftlicht und spezialisiert und ehrenamtliche Richter mit Sachkunde als „integrierender Bestandteil der Justiz“ in die Entwicklung einbezogen werden könnten. Bürgerbeteiligung in der Justiz war für Wassermann „ein Stück partizipatorischer Demokratie“.2
Sein besonderes Interesse galt der Rechts- und Justizpolitik; Recht war für ihn Mittel der gesellschaftlichen Gestaltung. Er setzte sich daher nachdrücklich für Reformen ein und forderte u. a. die Humanisierung der Justiz. Die Justiz müsse bürgernäher und menschlicher werden hinsichtlich Kommunikation zwischen Bürger und Gericht, Gerichtssprache, Verhandlungsstil, Umgang mit Öffentlichkeit und Medien. Er hat auch als Publizist gewirkt; u. a. hat er die erste rechtspolitische Zeitschrift in Deutschland „Recht und Politik“ mitbegründet und die Reihe „Alternativkommentare“ herausgegeben.
Im Nachruf auf Rudolf Wassermann erinnerte Hasso Lieber an die Gründung der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen, Landesverband Nordrhein-Westfalen am 25. Februar 1989 in Dortmund. Da sich die amtierenden Spitzen der Justiz zierten, an dem Gründungskongress teilzunehmen, gab es für Wassermann kein Überlegen. Seine Rede zur Gründung des Verbandes war kein alltäglich-politisches Höflichkeitsgrußwort. Es geriet zur programmatischen Wegweisung, aber auch Mahnung angesichts der Verantwortung, die den ehrenamtlichen Richter trifft. Zum Thema „Die Macht der Richter ohne Robe“ fragte er: „Wo gibt es Positionen mit vergleichbarer Macht? Umso auffälliger ist es, wie wenig sich die Schöffen ihrer Macht bewusst sind und wie wenig Gebrauch sie von ihrer Macht machen.“3 Seine Argumente für die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Rechtsprechung sind heute noch aktuell: Demokratie-, Kontroll- und Vertrauensfunktion, Bildungseffekt, Vermittlung von Wissen über Realität, Bürgernähe, Menschlichkeit, Plausibilitätskontrolle. Er ließ es sich nicht nehmen, für die Festschrift zum 10-jährigen Bestehen der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen einen Beitrag zu schreiben zur „Bürgermitwirkung in der Rechtsprechung. Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Aspekte“.4 Darin hat er seine Vorstellungen und Erfahrungen über das richterliche Ehrenamt umfassend dargestellt.
Wassermann habe immer nach seiner eigenen Überzeugung gehandelt – auch gegen Widerstände – und nicht nach dem Mainstream, so würdigt ihn Pascal Bastuck in seiner Dissertation.5
Solche Persönlichkeiten fehlen uns heute in der Rechts- und Justizpolitik. Die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter sind ihm in besonderer Weise zu Dank verpflichtet.
- Rudolf Wassermann, Innere Justizreform – Aufgabe der Gerichtspräsidenten, DRiZ 1968, S. 293, 294. ↩︎
- Ausführlich: Rudolf Wassermann, Der Bürger als Richter, Recht und Politik 1982, S. 117-125; später auch in: ders., Die richterliche Gewalt, 1985, S. 112 ff. ↩︎
- RohR 1989, S. 10-13; Nachdruck in: RohR 2008, S. 101-103. ↩︎
- In: Hasso Lieber/Ursula Sens (Hrsg.), Ehrenamtliche Richter – Demokratie und Dekoration am Richtertisch?, 1999, S. 38-46. ↩︎
- Rudolf Wassermann, 2020, S. 172. ↩︎
Zitiervorschlag: Ursula Sens, Rudolf Wassermann zum 100. Geburtstag, in: LAIKOS Journal Online 3 (2025) Ausg. 2, S. 69.