OLG Naumburg: Gendern in der Gerichtssprache
- Die Urteilsgründe müssen klar, bestimmt und verständlich formuliert sein; anlassloses Gendern verstößt gegen diese Grundsätze, wenn Verfahrensbeteiligte geschlechtslos oder -verwirrend bezeichnet werden.
- Geschlechtsneutrale Bezeichnungen für Verfahrensbeteiligte sind nur dann angebracht, wenn die Betreffenden ausdrücklich eine solche wünschen. (Leitsätze d. Red.)
OLG Naumburg, Beschluss vom 12.6.2025 – 1 ORbs 133/25
Gründe (zur Sprache im Urteil): Das Urteil des AG verwendet – in atypischer Weise – geschlechtsneutrale Formulierungen hinsichtlich der Verfahrensbeteiligten. So wird der Betroffene, bei dem es sich (…) unzweideutig um einen „Herrn“ handelt, im Tenor und in den Urteilsgründen durchweg als „betroffene Person“ bezeichnet, der angehörte Sachverständige wird mit „sachverständige Person“ tituliert und der Messbeamte wird im Urteil „messverantwortliche Person“ genannt (nur der erkennende Richter selbst bezeichnet sich als solcher und nicht etwa als „richtende Person“).
Derartige Bezeichnungen sind (nur) dann angebracht, wenn die betreffenden Verfahrensbeteiligten ausdrücklich um eine geschlechtsneutrale Bezeichnung nachsuchen. Im Übrigen muten derartige Bezeichnungen von Menschen in hoheitlichen Erkenntnissen despektierlich an. Denn sie reduzieren – unter Außerachtlassung des Geschlechts als wesentliches Persönlichkeitsmerkmal – Verfahrensbeteiligte auf ein Neutrum. Es besteht die naheliegende Gefahr, dass damit in die persönliche (Geschlechter-)Ehre eingegriffen und diese herabgesetzt wird. Dem gilt es durch die typische Bezeichnung (Betroffener/Betroffene, Sachverständiger/Sachverständige, Messbeamter/Messbeamtin, Zeuge/Zeugin, Täter/Täterin) entgegenzuwirken (wobei im letztgenannten Fall die neutrale Bezeichnung „tuende Person“ oder „tat-tuende Person“ außerdem ridikül anmutet).
Anmerkung: „Die Gerichtssprache ist deutsch“, regelt § 184 Satz 1 GVG. Über diese scheinbar eindeutige Regel bestehen inzwischen, was Inhalt, Stil und Grammatik der deutschen Sprache ist, unterschiedliche Auffassungen, die sich nun auch in gerichtlichen Entscheidungen niederschlagen. Die Verfahrensordnungen ordnen den Beteiligten zur Identifizierung ihrer Stellung bestimmte Bezeichnungen zu: Kläger und Beklagter im Zivil- und den verwaltungsgerichtlichen Verfahren, Angeklagter im Strafverfahren, Betroffener im Bußgeldverfahren. Dieser Terminologie hat sich das Gericht zuvörderst zu bedienen. Die Unabhängigkeit des Richters befreit weder vom Gesetz noch von der Grammatik. Das Verhalten des Amtsrichters macht nachdenklich. Er (um einen „er“ handelt es sich offensichtlich) hat im Deutschunterricht bei der Behandlung des Unterschiedes zwischen Genus und Sexus wohl nicht aufgepasst. Das Genus macht deutlich, wann und welche Beziehung zu einem anderen Wort besteht (Der Betroffene macht in seiner Einlassung deutlich, dass …, während die Zeugin in ihrer Darstellung betont, dass …) – sog. Kongruenz. Insoweit ist „die tuende Person“ generisches Femininum, soll aber als Neutrum verstanden werden. Verständlichkeit geht anders.
Die „Umpolung“ eines biologisch männlichen Menschen ins Neutrum geht noch darüber hinaus, weil ihm das „Sein“ aberkannt wird. Diese Definitionshoheit kommt auch dem (in seiner Rechtsprechung) unabhängigen Richter nicht zu. Sprache kann „sich“ im Laufe der Zeit verändern, wie bei der Eingliederung von Fremd- und Lehnwörtern oder – vor allem Anglizismen – zur Umschreibung oder Abschwächung eines prekären Vorganges (z. B. Upskirting), auch der Verständigung nur bestimmter Gruppen dienen, wie die Latinisierung der wissenschaftlichen Sprache. Die Rechtsprechung muss aber – besonders in den Tatsacheninstanzen – von allen Beteiligten verstanden werden, weil sie sonst ihren bessernden oder friedenstiftenden Charakter verliert. Das Beispiel macht zudem einen wesentlichen Unterschied des Kollegial-Spruchkörpers zum Einzelrichter deutlich: die interne Kontrolle über die Verständlichkeit und die Begrenzung singulärer ideologischer Verhaltens- oder Argumentationsweisen. Diese Funktion kann auch von ehrenamtlichen Richtern erfüllt werden, wenn die richtigen Personen aktiviert werden. (hl)
Link zum Volltext der Entscheidung
Zitiervorschlag: OLG Naumburg: Gendern in der Gerichtssprache, in: LAIKOS Journal Online 3 (2025) Ausg. 2, S. 64.