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Literaturumschau

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Aufgrund des Anstiegs der Kriminalität von Kindern und Jugendlichen seit 2021 befasste sich die Justizministerkonferenz im Juni 2024 mit der Absenkung der Strafmündigkeitsgrenze (derzeit bei 14 Jahren). Die Autoren warnen vor übereilten rechtspolitischen Entscheidungen. Insbesondere beklagen sie fehlende Befunde zur Prävention und Bewältigung der Kriminalität junger Menschen unter den heutigen Lebensbedingungen. Zudem sei nicht sicher, ob es sich um eine bedenkliche Trendwende oder um die Folgen der COVID-Pandemie handelt. Auf eine allgemeingültige Altersuntergrenze für die strafrechtliche Verantwortlichkeit könne aber nicht verzichtet werden. Für eine Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze spreche eine frühzeitige Reaktion auf normabweichendes Verhalten. Die Diskussion dürfe aber nicht auf das Jugendstrafrecht beschränkt werden; Kriminalprävention sei auch Aufgabe des Kinder- und Jugendhilfe- sowie des Familienrechts. Die Gestaltungsspielräume des gesamten Versorgungssystems sollten genutzt werden. (us)


Kern des Beitrages ist die Kritik des Autors, dass – bei zunehmender Zahl rechtsextremer Schöffen – der Gesetzentwurf zur notwendigen Verfassungstreue von ehrenamtlichen Richtern (BT-Drs. 20/8761) seit Ende 2023 im Rechtsausschuss des Bundestages schmort. Die Kritik ist typisch juristisch: „Es gibt ein Problem? Da machen wir eben ein Gesetz!“ Auf eine quantitative wie ursächliche Analyse eines angeblich wachsenden rechtsextremen Verhaltens ehrenamtlicher Richter, vor allem deren Ursachen, verzichtet der Beitrag. Er befasst sich auch nicht mit der Frage, wie tatsächliche Maßnahmen verhindern können, dass diese in das Amt gelangen. Den „Albtraum jeden Richters“, dass vorurteilsbehaftete Schöffen die Verurteilung ausländerfeindlicher Angeklagter verhindern, soll der Hinweis auf eine rechtsextreme Schöffin im Erfurter Schleuser-Prozess untermauern. In den letzten fünf Jahren sind elf rechtsextreme Schöffen ihres Amtes enthobenen worden.* Jeder ist einer zu viel, aber für den Beweis einer epidemischen Gefahr ungeeignet. Die Bindung ehrenamtlicher Richter an die Verfassung ist geltendes (Verfassungs-)Recht, Gegenstand ihres Eides (Gelöbnisses) und bei Kenntnis bereits Grund für die Nichtaufnahme in die Vorschlagsliste. Den Aufruf zur Wachsamkeit bei der Wahl diffamiert der Autor als „hilflos“. Wie aber werden ungeeignete Personen verhindert, wenn nicht durch Sorgfalt aller Beteiligten? Nicht jeder mit Vorurteilen Behaftete ist ein Verfassungsfeind – und trotzdem ungeeignet. Diese – und auch eventuelle Verfassungsfeinde – gelangen in das Schöffenamt, wenn die Wahlorgane ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. (hl)

* Nach der Recherche von Miriam Lenz/Tim Wurster, CORREKTIV vom 5.6.2024 [Abruf: 4.11.2024].


Smartphones sind als Beweismittel von Bedeutung, weil der Zugriff auf eine Vielzahl gespeicherter Daten möglich ist. Der Autor stellt einen damit verbundenen gravierenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung fest, da die Daten zum unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören. Der Datenbestand übertreffe herkömmliche Informationsquellen und könne weitreichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Betroffenen bis zur Bildung von Verhaltens- und Kommunikationsprofilen ermöglichen. Der Eingriff müsse auf den Ermittlungszweck beschränkt werden; nicht benötigte Daten, die keinen unmittelbaren Bezug zur aufzuklärenden Straftat haben, müssten gelöscht werden. Bei Sicherstellung, Beschlagnahme und Auswertung sei die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Rechtliche Fragen werfe der Zugriff auf verschlüsselte Smartphones auf. Die biometrische Entsperrung könne zwar weder auf § 100b StPO (Online-Durchsuchung) noch auf § 81b StPO (erkennungsdienstliche Maßnahmen bei dem Beschuldigten) gestützt werden; sie sei aber als Annex zur Sicherstellung und Beschlagnahme von Smartphones gemäß § 94 StPO zulässig. (us)


Grundsätzlich begrüßt der Autor die Entkriminalisierung durch das Konsumcannabisgesetz (KCanG), stellt aber Lücken bei der Legitimation der Strafvorschriften fest, welche Rechtsgüter geschützt werden sollen (Kinder- und Jugendschutz, Gesundheitsschutz, Bekämpfung der Organisierten Kriminalität?). Der Blick auf die Rechtsfolgen zeige Wertungswidersprüche beim Grundtatbestand und (verdeckte) Strafverschärfungen bei der Strafrahmenwahl (minder schwerer Fall) auf und folglich bei der Strafzumessung. Zur Qualifikation als Verbrechen weist der Autor auf die Unbestimmtheit der „nicht geringen Menge“ hin und zur Problematik des bandenmäßigen Handelstreibens mit nicht geringer Menge. Bei der Gleichsetzung von „Bande“ mit „Organisierter Kriminalität“ würde auch der „Kiffer-WG“ mit drei Personen eine Freiheitsstrafe drohen. Der Autor befürchtet zahlreiche Cannabis-Verfahren und eine Belastung von Justizressourcen; ein beträchtlicher Schwarzmarkt würde verbleiben. Reformbedarf sieht er beim kontrollierten Vertrieb in Modellprojekten, der Behebung handwerklicher Fehler des KCanG sowie einer umfassenden Reform des BtMG. Empirische Befunde belegten, dass das Strafrecht die Probleme des Drogenkonsums nicht mindere, sondern verschärfe. Die Drogenpolitik verenge sich zu Unrecht auf Cannabis. (us)


Anhand aktueller Fälle wird die Dysfunktionalität des geltenden Wiederaufnahmeverfahrens erläutert. Im Rechtsstaat müssen Fehlurteile durch Rechtsmittel verhindert werden können. Der Rechtsschutz gegen Strafurteile im höheren Rechtszug sei aber lückenhaft, da es nur eine Tatsacheninstanz gibt. Für die Revisionsinstanz wäre die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung in der Tatsacheninstanz und deren Rekonstruktion von Vorteil. Erforderlich sei auch die Pflicht zur Begründung einer Verwerfung der Revision. Aktuelle empirische Daten zu den Ursachen von Fehlurteilen fehlten; daher seien Fehlerquellen systematisch zu untersuchen. Die Justiz müsse zu einer offenen Fehlerkultur beitragen. Da für die Staatsanwaltschaft das Legalitätsprinzip bei der Wiederaufnahme nicht gelte, müsse bei hinreichender Wahrscheinlichkeit eines Wiederaufnahmegrundes eine Ermittlungspflicht bestehen. Ein effektiver Rechtsschutz erfordere eine umfassende Reform des Wiederaufnahmerechts, die der Wiederaufnahme Raum lässt. (us)


Der EuGH hat sich in einem Vorabentscheidungsverfahren aufgrund einer Vorlage des LG Berlin mit der Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus der Ausspähung personenbezogener Daten beim Kommunikationsanbieter EnroChat vor deutschen Gerichten befasst (Urteil vom 30.4.2024, Az.: C-670/22). Französische Ermittler haben die Kommunikation über EncroChat überwacht; deutsche Ermittler bekamen Zugang zu den Daten. Der Autor erläutert das EuGH-Urteil und stellt es dem BGH-Beschluss vom 2.3.2022 (Az.: 5 StR 457/21) gegenüber, wonach sich eine Beweisverwertung nicht nach europäischem, sondern deutschem Recht richte. Nach Auffassung des EuGH dürfen die Daten von deutschen Behörden genutzt werden, wobei bestimmte Bedingungen einzuhalten sind, wie solche Beweise zwischen europäischen Staaten weitergegeben und im Strafverfahren verwendet werden dürfen. So muss z. B. das nationale Strafgericht in einem Strafverfahren gegen einen Angeklagten Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn der Betroffene nicht sachgerecht zu diesen Beweismitteln Stellung nehmen kann und diese geeignet sind, die Beweiswürdigung maßgeblich zu beeinflussen. Dann liege ein Beweisverwertungsverbot vor. (us)


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