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BGH: Besorgnis der Befangenheit – Anzeigepflicht

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Schöffen haben Umstände, die eine Besorgnis ihrer Befangenheit begründen können, dem Vorsitzenden zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen. Diese Pflicht dient der Gewährleistung des Anspruchs der Verfahrensbeteiligten auf ein neutrales Gericht. Sie umfasst auch die Anzeige von Befangenheitsgründen anderer Mitglieder des Gerichts. (Leitsatz d. Red.)

BGH, Beschluss vom 11.1.2022 – 3 StR 452/20

Sachverhalt: Eine Schöffin erkannte in einem Umfangsverfahren einen Angeklagten, mit dem sie rund zwei Jahre zuvor intimen Kontakt hatte. Dies offenbarte sie nach Monaten dem Mit-Schöffen, der ihr empfahl, den Ergänzungsrichter um Rat zu bitten. Dieser erklärte in Gegenwart des Schöffen, dass sie dies zu Beginn der Verhandlung dem Vorsitzenden hätte mitteilen müssen und nunmehr in eigener Verantwortung zu tun hätte. Ergänzungsrichter und Schöffe unternahmen weiter nichts. Der Vorsitzende erfuhr durch einen Journalisten von dem intimen Kontakt. Daraufhin gaben alle Mitglieder des Gerichts dienstliche Erklärungen ab, die den Verfahrensbeteiligten zugeleitet wurden. Die Angeklagten lehnten den Schöffen, dem sich die Schöffin offenbart hatte, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Berufsrichter werteten die dienstliche Stellungnahme des Schöffen als Selbstanzeige, sahen aber keine Gründe für ein Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit und verwarfen die Ablehnung als unbegründet. Dass der Schöffe wie der Berufsrichter den intimen Kontakt nicht angezeigt habe, sei zwar pflichtwidrig gewesen, aus Perspektive des Schöffen aber nachvollziehbar, weil der Umstand nicht ihn, sondern die Schöffin betraf.

Rechtliche Würdigung: Eine Ablehnung ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende Grund zu der Annahme hat, der Richter habe ihm gegenüber nicht die erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit. Der Schöffe, der den ihm bekannt gewordenen Umstand nicht anzeigte, handelte fehlerhaft. Richter und Schöffen sind aus Sinn und Zweck des § 30 StPO verpflichtet, Ausschließungs- und Befangenheitsgründe anzuzeigen, die bei ihnen selbst möglicherweise vorliegen, aber auch solche, die andere Mitglieder des Spruchkörpers betreffen. Die Verpflichtung zur „Fremdanzeige“ wurzelt ebenfalls in dem Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf ein Gericht mit der gebotenen Neutralität.

Dass der Schöffe diese Anzeigepflicht verkannte, begründet keine Besorgnis der Befangenheit. Verstöße, die auf Irrtum, unrichtiger, sogar unhaltbarer Rechtsansicht beruhen, stellen noch keinen Ablehnungsgrund dar. Anderes gilt, wenn Entscheidungen oder Prozesshandlungen völlig abwegig sind oder den Anschein der Willkür erwecken. Dies kann in dem Verhalten des Schöffen nicht erblickt werden. Von juristischen Laien können keine Kenntnisse des Verfahrensrechts erwartet werden. Schöffen sind darauf angewiesen, dass die Richter ihnen das relevante Wissen vermitteln. Der abgelehnte Schöffe wirkte darauf hin, dass die Schöffin den intimen Kontakt dem Ergänzungsrichter offenbarte, und orientierte sich in seinem weiteren Verhalten an diesem. Dass sich der Schöffe einer Pflicht zur Offenbarung des mitgeteilten Sachverhalts bewusst war, ist nicht ersichtlich.

Link zum Volltext der Entscheidung

Zitiervorschlag: BGH: Besorgnis der Befangenheit – Anzeigepflicht, in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 1, S. 30-31.

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