Laienrichter im Kanton Zürich verlassen die Justiz
Hasso Lieber
Am 8. August 2025 berichtete der Schweizer Tages-Anzeiger unter der Schlagzeile „Mit ihr tritt die letzte Laienrichterin im Kanton Zürich zurück“ über das Ausscheiden von Anna Gfeller Specogna aus dem Richteramt nach Erreichen der Altersgrenze.1 Der Bericht lenkt den Blick zurück in das Jahr 2016. Im Kanton kamen in einfacheren Verfahren des Familien- und Strafrechts, bei Rechtsöffnungen2 oder arbeitsrechtlichen Forderungen auch nicht juristisch ausgebildete (Laien-)Richter zum Einsatz, da in diesen Bereichen das juristische Fachwissen weniger eine Rolle spiele als menschliches Geschick, Einfühlungsvermögen, Lebenserfahrung oder Vermittlungsfähigkeit.
Im August 2015 startete der Kantonsrat eine parlamentarische Initiative, die die Wahlvoraussetzungen für Bezirksrichter betraf. Danach sollten für die Wahl zum Bezirks- und erstinstanzlichen Ersatzrichter nur noch Personen mit einem abgeschlossenen juristischen Studium zugelassen sein. Die ordentlichen Bezirksrichter werden in unmittelbarer Wahl vom Volk gewählt. Bis zur Änderung des Gesetzes konnten Laien und Juristen zur Wahl antreten. In nicht seltenen Fällen sind die Juristen unterlegen. So setzte sich z. B. Gfeller Specogna bei der ersten Wahl im Jahr 2007 deutlich gegen einen juristischen Mitbewerber durch. Von 153 ordentlichen Richtern im Kanton Zürich waren im Jahre 2015 insgesamt 18 Laienrichter in Teilzeit bis zu 50 % einer Stelle beschäftigt.3 Beim Bezirksgericht Andelfingen waren bis auf den Gerichtspräsidenten alle Gerichtsmitglieder einschließlich der Vizepräsidentin Laien.4 Eine Änderung der Prozessordnung, die einen verstärkten Einsatz des Einzelrichters – damit zwangsläufig auch des Laienrichters – anstelle des Kollegialgerichts vorsah, hatte Bestrebungen ausgelöst, nur noch Juristen zum Richteramt zuzulassen. Dagegen wurde die Schweizerische Volkspartei (SVP) aktiv und initiierte mit Evangelischer Volkspartei (EVP) und Eidgenössisch-Demokratischer Union (EDU) eine Volksabstimmung, das sog. Behördenreferendum. Mit einer Mehrheit von 65,6 % stimmte allerdings die Bevölkerung bei einer Wahlbeteiligung von rund 45 % am 5. Juni 2016 der vom Kantonsrat beschlossenen Regelung zu.5 Als Friedensrichter6 und Beisitzer der Miet- und Arbeitsgerichte7 bleiben Vertreter der Zivilgesellschaft erhalten.
Warum läuft erst neun Jahre nach dem Referendum die Beteiligung der Laienrichter aus? Für das Ausscheiden der Laienrichter beinhaltete das Gesetz eine gleitende Regelung. Die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens im Amt befindlichen Laienrichter blieben im Amt und durften sich bis zum Erreichen der Altersgrenze auch für eine neue Amtszeit wieder bewerben und gewählt werden.
Die Tendenz zur Einzelrichterentscheidung macht hier wie dort zwei Tendenzen deutlich: Zum einen unterliegt die Justiz einer zunehmenden Ökonomisierung, z. B. mit der Delegation von Entscheidungen vom Kollegialgericht auf den Einzelrichter. Es bedarf keiner wissenschaftlichen Untersuchung, dass nicht nur juristische, sondern vor allem auch menschliche, soziale, psychologische Fragen – kurz: Aspekte der individuellen Gerechtigkeit – im Diskurs gründlicher überdacht und entschieden werden als von einem Einzelrichter. Wenn ein Fall so einfach gelagert ist, dass er eines Diskurses nicht bedarf, oder die vermittelnde, schlichtende Funktion des Richters im Vordergrund steht, wird auch der nicht wissenschaftlich Ausgebildete hierzu in der Lage sein. Die nahezu ausschließlich an der technischen Gesetzesanwendung orientierte Ausbildung der Juristen steht einer solchen Tätigkeit eher im Wege. Es ist kein Zufall, dass im Richterrecht des Common Law die zivilgesellschaftliche Mitwirkung umfassender ist (z. B. in den englischen Magistrates Courts), im kontinentalen Recht vor allem in Gerichtsbarkeiten mit fachspezifischen Bezügen und sachkundigen ehrenamtlichen Richtern die Mitwirkung nachhaltiger ist als in den Gerichten mit Jedermann-Beteiligung. Eine europäische vergleichende und integrierende Forschung wäre hilfreich.
- Daniela Schenker, TA Unterland vom 8.8.2025 [Abruf: 1.9.2025]. ↩︎
- Die Rechtsöffnung ist in der Schweiz ein Teil des Verfahrens zur Vollstreckung einer zivilrechtlichen Forderung. ↩︎
- Matthias Scharrer, Richtige Richter müssen das Recht kennen, Luzerner Zeitung vom 14.5.2016 [Abruf: 1.9.2025]. ↩︎
- Angela Giger, Laienbeteiligung in Zivil- und Strafsachen unter besonderer Berücksichtigung der Zürcher Praxis, Zürich: Universität, Rechtswissenschaftliches Institut, 2016 [Abruf: 1.9.2025]. ↩︎
- Ausführlich hierzu Ursula Sens, Kanton Zürich: Volk entscheidet über Abschaffung der Laienrichter, RohR 2016, S. 98 f. ↩︎
- Für diese sieht das Gerichtsorganisationsgesetz von Zürich keine wissenschaftlich-juristische Qualifikation vor. ↩︎
- Mit paritätischer Besetzung durch Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie der Vermieter bzw. Mieter. ↩︎
Zitiervorschlag: Hasso Lieber, Laienrichter im Kanton Zürich verlassen die Justiz, in: LAIKOS Journal Online 3 (2025) Ausg. 2, S. 60.