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Zum 20. Todestag von Otto Gritschneder

Ursula Sens

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„Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“, mahnte der Münchener Rechtsanwalt und Publizist Dr. Otto Gritschneder (* 11.1.1914, † 4.3.2005) in seinen Memoiren.1 Sein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften und die Referendarzeit absolvierte Gritschneder im „Dritten Reich“. Dabei wurde er mit der nationalsozialistischen Ideologie konfrontiert und erlebte hautnah – z. B. in seiner Referendarzeit als Pflichtverteidiger am Münchener Sondergericht –, dass der Justizapparat eine wichtige Funktion zur Machterhaltung in der Diktatur hat. Er trat keiner nationalsozialistischen Organisation bei und machte auch keinen Hehl aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Regime. Deshalb geriet er immer wieder in heikle Situationen. In seiner Dissertation behandelte er unter anderem die Beseitigung des strafrechtlichen Analogieverbots durch die Nazis, was bedeutete, dass eine Tat auch dann bestraft werden kann, wenn sie nicht nach dem Wortlaut des Gesetzes strafbar war, sondern nur nach dem „Grundgedanken des Strafgesetzes“, und nach dem „gesunden Volksempfinden“ Bestrafung verdient. Gritschneder widmete sich dem höchst problematischen Begriff des gesunden Volksempfindens und erhielt – trotz der Kritik an der NS-Gesetzgebung – die Note „sehr gut“. Sein Doktorvater bat ihn nach dem Krieg um ein entlastendes Zeugnis (sog. Persilschein). Der Titel seiner Memoiren „Fachlich geeignet, politisch unzuverlässig …“ ist seinem Referendarzeugnis von 1939 entnommen und verdeutlicht, was die NS-Justiz von dem Juristen Gritschneder hielt. Wegen seiner politischen Einstellung wurde er – trotz guter Examina – nicht als Anwaltsassessor zugelassen. Erst 1946 erfolgte seine Zulassung als Rechtsanwalt. Die von der NS-Justiz bescheinigte „politische Unzuverlässigkeit“ kam ihm schließlich zugute, sodass er vorzeitig zum Oberlandesgericht zugelassen wurde.

Gritschneder war ein streitbarer Jurist, der seinen Prinzipien treu geblieben ist. Er hatte auch eine Reihe prominenter Mandanten. So hat er 1964 in der „Spiegel-Affäre“ Rudolf Augstein gegen Franz Josef Strauß, damals noch CSU-Generalsekretär, vertreten. Daraufhin haben katholische Bischöfe dafür gesorgt, dass er keine juristischen Glossen mehr für Kirchenblätter schreiben durfte. Mit einer Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof hat er 1952 verhindert, dass kleinen Parteien und Wählergruppen mit einer Fünfprozentklausel im Gemeindewahlgesetz der Weg in die Kommunalvertretungen versperrt wird. Ab 1953 gab Gritschneder einen Juristischen Pressedienst für Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunkanstalten heraus, der aktuelle Gerichtsentscheidungen in verständlicher Sprache erklärte. 1970 musste er gegenüber der Rechtsanwaltskammer das Verhältnis des Anwaltsberufs zur publizistischen Freiheit verteidigen. Sein Pressedienst wurde vom Ehrengerichtshof standesrechtlich nicht beanstandet.2

Als Zeitzeuge hat Gritschneder über seine persönlichen Erlebnisse mit dem nationalsozialistischen Unrechtsregime geschrieben und insbesondere die Rolle der Justiz verdeutlicht. Vor diesem Hintergrund hat er in seinen Publikationen politische Fehlentwicklungen in der Weimarer Republik und der NS-Zeit aufgearbeitet. Als Rechtshistoriker schrieb er unter anderem über das Versagen der Justiz beim Hochverratsprozess gegen Hitler 1924 sowie über die als „Röhm-Putsch“ verdeckte Mordserie des NS-Regimes.3 Diese Ereignisse ebneten Hitler den Weg in die Diktatur. In „Furchtbare Richter“ schilderte Gritschneder den Justizterror deutscher Kriegsgerichte im Zweiten Weltkrieg und belegte in einer Sammlung von Urteilen, dass es um die gezielte Vernichtung des politischen Gegners ging – oder wen man dafür hielt.4 Für die kritische Aufarbeitung der NS-Justiz wurde er 1996 von der Arnold-Freymuth-Gesellschaft geehrt. Im Nachruf heißt es: „Mit Gritschneders Tod hat unsere Republik einen engagierten Kämpfer für den freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat verloren.“5 Otto Gritschneder hat in der Demokratie nicht geschlafen – mögen seine zahlreichen Veröffentlichungen die Erinnerung wachhalten.


  1. Otto Gritschneder, „Fachlich geeignet, politisch unzuverlässig …“, 1996, Vorwort. ↩︎
  2. Tätigkeit als Anwalt: Otto Gritschneder, „Fachlich geeignet, politisch unzuverlässig …“, 1996, S. 143 ff. ↩︎
  3. Otto Gritschneder, Der Hitler-Prozeß und sein Richter Georg Neithardt, 2001; ders., „Der Führer hat Sie zum Tode verurteilt …“ Hitlers „Röhm-Putsch“-Morde vor Gericht, 1993. ↩︎
  4. Otto Gritschneder, Furchtbare Richter, 1998. ↩︎
  5. Franz Josef Düwell, Nachruf auf Dr. Otto Gritschneder [Abruf: 24.4.2025]. ↩︎

Zitiervorschlag: Ursula Sens, Zum 20. Todestag von Otto Gritschneder, in: LAIKOS Journal Online 3 (2025) Ausg. 1, S. 28.

Über die Autoren

  • Geschäftsführerin PariJus gGmbH, 1994 bis 2018 Vorsitzende Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen – Bund ehrenamtlicher Richterinnen und Richter – Landesverband NRW e. V., 1995 bis 2022, Heft 1 Mitarbeit Redaktion „Richter ohne Robe“

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