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W. Pan: Schuld und Prävention bei der Strafzumessung

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Wenbo Pan: Schuld und Prävention bei der Strafzumessung. Eine vergleichende Untersuchung zur deutschen und chinesischen Strafzumessungsdogmatik. Berlin: Duncker & Humblot 2021. XVIII, 182 S. (Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Reihe I: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie; Bd. 28) ISBN 978-3-428-18511-5, € 30,00

Ein chinesischer Rechtswissenschaftler kommt nach Deutschland, konkret nach Freiburg im Breisgau, um dort zu promovieren. Das ist nichts Ungewöhnliches. Ein „Dr. jur.“ aus Deutschland genießt in Asien eine große Wertschätzung. Das habe ich selbst am Ende meiner Studienzeit erfahren. Als ich in den späten Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts in Köln an meiner völkerrechtlichen Dissertation schrieb, arbeitete ich mit einem südkoreanischen Kommilitonen zusammen, der nur für den einen Zweck einer erfolgreichen Promotion nach Deutschland gekommen war. Er forschte damals über die Meeresgrenzen im ostasiatischen Pazifik; der chinesische Kollege Wenbo Panhat sich hingegen in seiner Dissertation einem chinesisch-deutschen Rechtsvergleich zum Strafzumessungsrecht verschrieben. Beim Lesen gerät man zugleich in Staunen und Nachdenken. Denn das chinesische Strafrecht kennt noch die Todesstrafe. Dazu kritisiert Wenbo Pan – nein, nicht die Todesstrafe als solche, sondern dass es in der chinesischen Strafrechtswissenschaft derzeit „keine eindeutigen Kriterien“ für die Anwendung der Todesstrafe, insbesondere für die Frage nach dem sofortigen Vollzug oder einem Vollstreckungsaufschub gebe (S. 74)! Da bleibt einem erstmal der Mund offenstehen. An dem deutschen Strafzumessungsrecht übt er auch Kritik. Die Täterpersönlichkeit spiele hierzulande eine zu große Rolle; die Strafzumessungsschuld solle seiner Meinung nach nur an der Tatschwere gemessen werden (S. 35). Dann allerdings würde der Angeklagte zum bloßen Objekt der Strafjustiz werden, was das Grundgesetz aufgrund der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) gerade vermeiden möchte (z. B. BVerfGE 27, 1 [6]; Quarch in: Chinbanguza/Kuß/Steege, Künstliche Intelligenz, Baden-Baden 2021, S. 1117 Rn. 34). Wenbo Pan ist eben ein Rechtsdenker, der in einem anderen System aufgewachsen ist. Darin liegt aber auch ein Reiz dieses Buches, denn der Autor vermittelt über viele Seiten tiefe Einblicke in das in vielerlei Hinsicht anders „gepolte“ chinesische Rechtsdenken. Andererseits hat er sich tief und mit großem Verständnis in das deutsche Strafzumessungsrecht „eingegraben“, das er mit dem kritischen Außenblick des Wissenschaftlers beleuchtet. So ist insgesamt ein durchaus eindrucksvolles rechtsvergleichendes Werk entstanden, dessen Lektüre allerdings nur Spezialisten empfohlen werden kann. Wenbo Pan haben seine Bemühungen in Deutschland jedenfalls nicht geschadet; er ist kurz nach seiner Freiburger Promotion zum Assistenzprofessor für Strafrecht in der chinesischen Hauptstadt Peking ernannt worden.

Dr. Matthias Quarch, Aachen

Zitiervorschlag: Matthias Quarch, W. Pan: Schuld und Prävention bei der Strafzumessung [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 1, S. 39-40.

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