Der große Bauernkrieg von 1524/25 – Verlauf, Hintergründe und kulturhistorische Einordnung
Michael Kitzing
Abstract
Der Artikel beleuchtet die dramatischen Ereignisse des deutschen Bauernkrieges von 1524/25 sowie Ursachen und soziale, wirtschaftliche und kirchliche Hintergründe des Aufstandes. Eine Rolle spielte auch die Verdrängung des Gewohnheitsrechts durch den zunehmenden Einfluss des Römischen Rechts durch wissenschaftlich ausgebildete Juristen. Die Forderungen der Bauern wurden in „Zwölf Artikeln“ und dem Verfassungsentwurf von Wendel Hipler niedergeschrieben. Die Bauern unterlagen der Obrigkeit, doch ihr Kampf für Freiheit, Gerechtigkeit und bessere Lebensbedingungen an der Schwelle zur Neuzeit stellten einen historischen Wendepunkt dar.
The article sheds light on the dramatic events of the German Peasants‘ War of 1524/25 as well as the causes and social, economic, and ecclesiastical background to the uprising. The displacement of customary law by the increasing influence of Roman law by scientifically trained jurists also played a role. The demands of the peasants were written down in the „Twelve Articles“ and the draft constitution by Wendel Hipler. The peasants were defeated by the authorities, but their struggle for freedom, justice, and better living conditions on the threshold of the modern era represented a historical turning point.
Privatdozentin Dr. Madline Gund gewidmet.
I. Von der Hilzinger Kirchweih zur Schlacht an der Leubas: Ereignisse der Jahre 1524/25
Bereits im ausgehenden 15. Jahrhundert bzw. an der Wende zum 16. Jahrhundert war es im Heiligen Römischen Reich zu einer ganzen Reihe lokal begrenzter Bauernaufstände gekommen. Hierzu gehörten die Bundschuh-Aufstände in der Oberrheinregion. 1514 kam es schließlich in Württemberg zum Aufstand des „Armen Konrad“. Auch im Allgäu waren die Bauern des Fürststifts Kempten bereits zunehmend unruhig geworden. All dies bildete jedoch nur das Vorspiel des Bauernkrieges von 1524/25. Dieser nahm seinen Ausgang am Hochrhein, im Klettgau, wie auch in der nördlichen Schweiz, um sich anschließend im Hegau fortzusetzen. Hier kam es auf der Hilzinger Kirchweih Anfang Oktober 1524 zu einer ersten großen Zusammenrottung der Aufständischen. An der Jahreswende 1524/25 setzte zunächst eine Beruhigung ein, bevor ab März 1525 der Aufstand zum Flächenbrand wurde. Dieser erfasste nunmehr Oberschwaben, das Allgäu, Württemberg, große Teile Frankens, Thüringens, die Oberrheinregion, die Kurpfalz und das Elsass. Auch Tirol und Salzburg zeichneten sich durch eine lebhafte Aufstandsbewegung aus. Die Bewegung hatte regional durchaus eigene Charakteristika – auf die im Rahmen eines Überblicks jedoch nicht eingegangen werden kann –, genauso wie sich keineswegs nur Bauern, sondern z. T. auch städtische Unterschichten sowie Bergknappen (in Salzburg und Tirol) an den Aufständen beteiligten.
Bei deren Beginn fehlte vor allem dem Haus Habsburg-Österreich, das durch seine Besitzungen im heutigen Bayerisch-Schwaben bzw. Baden-Württemberg (Vorderösterreich) im Südwesten des Reiches eine zentrale Rolle einnahm, die Möglichkeit, gegen die Aufstandsbewegung vorzugehen. Denn die finanziellen Ressourcen der Habsburger waren in der Auseinandersetzung mit König Franz I. von Frankreich in Oberitalien gebunden. Aufgrund des dortigen Krieges waren bis zu der für die Habsburger siegreichen Schlacht bei Pavia im Februar 1525 weder Geld noch Söldner verfügbar.
Unter diesen Voraussetzungen gelang es den Bauern, weite Landstriche zumindest phasenweise zu erobern sowie zahlreiche Klöster und Burgen zu plündern oder in Flammen aufgehen zu lassen. Besonders spektakulär und dem Ansehen der Bauern schädlich war die Einnahme der Festung Weinsberg am 16. April 1524. Weinsberg wurde durch den Grafen Ludwig von Helfenstein verteidigt, der damals Statthalter des zwischen 1520 und 1534 ebenfalls von Habsburg-Österreich besetzten Herzogtums Württemberg war. Nach der Eroberung Weinsbergs wurden Ludwig von Helfenstein und weitere Adelige von den Bauern auf brutale Weise exekutiert. Allerdings hatte der Graf die Bauern des Neckartaler Haufens zuvor massiv provoziert, indem er sie, als diese ein erstes Mal an der Festung Weinsberg vorbeigezogen waren, beschossen und ihnen damit gedroht hatte, ihre Höfe anzuzünden. Diese Provokation war töricht, da dem Grafen nur unzureichende Kräfte zur Verteidigung zur Verfügung standen und die Bevölkerung Weinsbergs als nicht zuverlässig angesehen werden konnte. Auch war es den Bauern zeitweilig gelungen, eine Reihe von Reichsständen zu Bündnissen mit ihnen zu zwingen. So befanden sich u. a. mehr oder weniger unfreiwillig das Kurerzbistum Mainz, die Grafen von Wertheim wie auch die Reichsstadt Heilbronn im Lager der Bauern.
Ab Anfang April 1525 gelang es dem Schwäbischen Bund, einem eng mit dem Hause Habsburg verbundenen Landfriedensbündnis, unter Leitung seines Feldherrn Georg III. Truchsess zu Waldburg erfolgreich gegen die Bauern vorzugehen. Der „Bauernjörg“ schlug zunächst die oberschwäbischen Bauern bei Leipheim, um dann gegen seine eigenen Bauern erfolgreich bei Wurzach vorzugehen. Nachdem er sich mit den Bauern der Bodenseegegend am 17. April 1525 im Weingartener Vertrag ohne Blutvergießen geeinigt hatte (hier verpassten die Bauern – zumal in taktisch günstiger Stellung und verstärkt durch Landsknechte, – die große Chance, dem Krieg eine andere Wendung zu geben, und akzeptierten dagegen einen für sie eher nachteiligen Vertrag), wandte sich der „Bauernjörg“ nach Norden, um am 12. Mai 1525 in der Schlacht bei Böblingen die württembergischen Bauern vernichtend zu schlagen. Anschließend marschierte er nach Franken, wo er über die dortigen Bauern – u. a. am 2. Juni 1525 bei Lauda – ebenfalls siegreich war, bevor er sich abschließend den Allgäuer Bauern zuwandte, die an der Leubas am 14./15. Juli 1525 geschlagen wurden. Bereits zuvor waren der Herzog Anton II. von Lothringen bei Zabern gegen die Elsässer Bauern sowie Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen und Herzog Georg der Bärtige von Sachsen gegen die aufständischen Bauern im Thüringer Raum bei Frankenhausen vorgegangen. Lediglich in Tirol und Salzburg setzten sich die Unruhen noch 1526 fort.
Auch wenn in nahezu allen Schlachten die aufständischen Bauern zahlenmäßig weit überlegen waren, war der Ausgang der Auseinandersetzungen meist von vornherein klar. Denn den Bauern fehlte die militärische Erfahrung wie auch die Disziplin. Selbst erfahrene militärische Anführer wie Götz von Berlichingen, der sich im April und Mai 1525 halb gezwungen den Bauern zwischen Neckar und Odenwald zur Verfügung gestellt hatte, konnten ihre Anweisungen bei den Bauern nicht immer durchsetzen. Zudem hatten es die Bauern meist versäumt, ihrerseits Landsknechte zu werben und schließlich wurden Mannschaften allzu oft ausgewechselt. Vor allem aber fehlten den Bauern in der Regel Artillerie und Reiterei, die entscheidend für den Ausgang der Schlacht waren. Letztlich kamen während des Bauernkrieges 70.000 bis 100.000 Bauern ums Leben.
Wurde hier schlagwortartig ein Überblick über die Verlaufsgeschichte und den Ausgang des Bauernkrieges gegeben, wird im Folgenden drei Fragestellungen nachgegangen. Erstens soll den geistesgeschichtlichen und wirtschaftshistorischen, aber auch kirchengeschichtlichen und mentalen Voraussetzungen1 der Welt um 1500, vor deren Hintergrund es 1524/25 zum Ausbruch des Bauernkrieges kam, nachgespürt werden (II.). Zweitens soll der Wandel in der Rechtskultur im ausgehenden Mittelalter, der ebenfalls einen wesentlichen Faktor für den Ausbruch des Bauernkrieges darstellte, geschildert werden (III.), bevor abschließend auf die Forderungen bzw. die verfassungspolitischen Konzeptionen der Bauern und die Nachwirkungen des Bauernkrieges geblickt wird (IV.).
II. Die Welt an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit: Geistesgeschichtlicher, wirtschaftlicher und kirchlich-theologischer Hintergrund des Bauernkrieges
Politik und Gesellschaft um 1500 waren in vielfältiger Form in Bewegung geraten. In Philosophie und Literatur traten an die Stelle der mittelalterlichen Scholastik der Humanismus und die Rückbesinnung auf das Denken der Antike; in der Architektur und Kunst wurde die Spätgotik durch die Renaissance – zuerst in Italien – abgelöst. Zugleich entstanden neue politische Einheiten, allen voran das Weltreich Kaiser Karls V., der 1519 zum Kaiser gewählt worden war und seitdem in intensiver Rivalität zum französischen König Franz I. stand. In insgesamt fünf Kriegen kämpften Frankreich und das Haus Habsburg mit seinen diversen Linien in Spanien und Österreich um die Vorherrschaft in Oberitalien.
Im Bereich der Technik kam es um 1500 zur Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, mit dessen Hilfe die Forderungen der Reformatoren und schließlich der aufständischen Bauern in hohen Auflagen verbreitet werden konnten. So erreichten die zwölf Artikel, in denen die Bauern im März 1525 in Memmingen ihre Anliegen niederlegen sollten, 25 Auflagen mit insgesamt 25.000 Exemplaren. Auch die ebenfalls im März 1525 in Memmingen verabschiedete Bundesordnung der Bauern des Baltringer und Allgäuer Haufens sowie des Seehaufens erreichte elf Auflagen, die im ganzen Reich kursierten.
Am Beginn des 16. Jahrhunderts kam es schließlich zu wirtschaftlichen Veränderungen, die sich negativ auf die Bauern auswirkten: Das 14. Jahrhundert war durch eine Vielzahl von Krisen wie zahlreiche schwere Unwetter, mehr aber noch durch die Pest der Jahre ab 1348 geprägt. Aufgrund der hohen Todeszahlen wurden zahlreiche Ortschaften zu Wüstungen. Dieser demografische Rückgang war jedoch um 1500 wieder aufgeholt worden. In der Zwischenzeit war die Bevölkerungszahl Deutschlands auf zwölf Millionen angewachsen – noch dreißig Jahre zuvor waren es gerade einmal zehn Millionen gewesen. Für die bäuerliche Bevölkerung hatte dies eine Verschlechterung ihrer ökonomischen Situation zur Folge, denn gleichzeitig war es nicht zu einer Steigerung der durchschnittlichen Ernteerträge gekommen. Anders formuliert: Der gleiche Boden musste eine deutlich größere Anzahl Menschen ernähren. Schwierigkeiten ergaben sich sowohl in Gebieten mit Realteilung, in denen die Bauern vom Ertrag immer kleinerer Parzellen leben mussten, als auch in Regionen, in denen das Anerbenrecht galt. Hier blieben meist mehrere Söhne unversorgt, die sich in zahlreichen Fällen lediglich als Reisläufer verdingen konnten. Also kam es vielerorts zur Entstehung kleinbäuerlicher oder auch unterbäuerlicher Schichten, die im Mittelpunkt örtlicher Konflikte standen. Diese Konflikte wurden angesichts erhöhter Abgaben im Zuge einer Intensivierung von Herrschaft nach außen abgeleitet. Dementsprechend finden sich unter den Aufständischen des Jahres 1525 oftmals derartige Unterschichten.
Daneben gab es, Casimir Bumiller hat dies in seiner Studie zum Bauernkrieg im Hegau in Anlehnung an Karl Siegfried Bader anschaulich herausgearbeitet, ein „dörfliches Patriziat“.2 Diesem war es gelungen, im Gegensatz zur allgemeinen Entwicklung – bspw. durch Eheverbindungen – wohlhabend zu bleiben. Dieses „dörfliche Patriziat“ verfügte über ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein und erhob, wie Bumiller formuliert hat, „Anspruch auf eine Statusverbesserung, auf eine Teilhabe am allgemeinen zivilisatorischen Fortschritt“.3 Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass sich unter den Führungspersönlichkeiten der Jahre 1524/25 auch dörfliche Oberschichten befanden, die eben nicht bereit waren, sich in den Stand der Leibeigenschaft herabdrücken zu lassen und Mitspracherechte ihrer dörflichen Gemeinschaft auch gegenüber der Herrschaft artikulierten.
Neben Krisen im Bereich Wirtschaft bzw. Landwirtschaft trugen auch Entwicklungen auf theologischem Feld sowie innerhalb der Kirche zum Ausbruch des Bauernkrieges 1524/25 bei. Bereits das 15. Jahrhundert war durch ein hohes Maß an Volksfrömmigkeit, ja fast schon übersteigerter Frömmigkeit und Heilserwartung geprägt, wobei letztere ihren Niederschlag in einer verstärkten Endzeiterwartung fand. Gleichzeitig gelang es der Amtskirche nicht, durch ihr Auftreten und ihre Seelsorgeangebote dieser Frömmigkeit gerecht zu werden. Vielmehr wurde der Gegensatz zwischen der in den höheren Rängen so gut wie ausschließlich durch den Adel geprägten Amtskirche mit ihrem repräsentativen und kostspieligen, ja verschwenderischen Auftreten und dem von Jesus Christus gepredigten Armutsideal allzu deutlich. Den Bauern gegenüber trat die Kirche oftmals als Herrschaft auf; zahlreiche Territorien des Reiches befanden sich um 1500 unter der Herrschaft eines Fürstbischofes oder eines Fürstabtes – bemerkenswerterweise waren gerade geistliche Fürsten wie z. B. der Fürstabt des Stiftes Kempten, Sebastian von Breitenstein, bei der Eintreibung von Abgaben besonders unnachgiebig, ja unbarmherzig. Auch wurden zahlreiche Pfarreien in Klöster inkorporiert. Konkret bedeutete dies für die Gläubigen, dass das jeweilige Kloster sich zwar die Einnahmen der entsprechenden Pfarrei sicherte, die vom Kloster vor Ort eingesetzten Pfarrer aber nur mäßig besoldete, ggf. sogar nur Kapläne als Aushilfe einsetze. Auch ließ die theologische Bildung der Seelsorger oftmals zu wünschen übrig.
Dementsprechend versuchte die ländliche Bevölkerung schon seit dem 15. Jahrhundert, Einfluss auf die Bestellung der Pfarrer zu nehmen. Ab diesem Zeitpunkt kam es zur Stiftung von Prädikantenstellen durch dörfliche Gemeinschaften, die als Stifter dementsprechend auch beanspruchten, über die Besetzung der jeweiligen Prädikantenstelle mitsprechen zu dürfen. Für Immenstaad am Bodensee konnte Bumiller sogar nachweisen, dass dort gar die Pfarrstelle durch die örtliche Bevölkerung gestiftet wurde.4 Als Stifter wünschte die dörfliche Gemeinschaft selbstverständlich das Präsentationsrecht, also das Recht, den künftigen Pfarrer dem Konstanzer Bischof vorschlagen zu dürfen, in Anspruch nehmen zu können. Tatsächlich hat sich die Bevölkerung Immenstaads dieses Recht vor Reichsgerichten erstritten. Die Stiftung einer Pfarrstelle ging somit dem im Zuge der Bauernkriege geforderten Recht der freien Pfarrerwahl durch die Gemeinden voraus und zeugt zugleich vom gewachsenen Selbstbewusstsein dörflicher Gemeinschaften, dem andererseits die frühmoderne Staatsbildung und der gewachsene Anspruch der Herrschaft auf eine intensivere Herrschaftsdurchdringung entgegenstand.
III. Vom mündlich überlieferten Gewohnheits- zum schriftlichen fixierten Recht: Wandel in der Rechtskultur und dessen Bedeutung für den Ausbruch des Bauernkrieges
Am Ausgang des Mittelalters bzw. an der Wende zur Frühen Neuzeit unterlag die Rechtskultur einer tiefgreifenden Veränderung. Mittelalterliches Recht war mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht. Dieses Recht wurde vom Gerichts- und Grundherrn auf der einen und Vertretern der Gemeinde auf der anderen Seite im konkreten Fall augenblicklich neu gefunden. Kurt Andermann geht in Anlehnung an Hermann Krause sogar so weit zu sagen, dieses Recht wurde im Konsens zwischen Herrschaft und Untertanen stets neu „erfunden“.5 Somit lässt sich von einem „im Volk verankerten Rechtsbewusstsein“6 sprechen, aus dem das konkrete Recht im Zusammenspiel mit der Herrschaft jeweils neu geschöpft wurde. Auch sprechen die Historiker von einem Weistums- oder Öffnungsrecht, das in bestimmten zeitlichen Intervallen von der Herrschaft in den ihnen unterworfenen Gemeinden abgefragt wurde. Ein Erinnern an das geltende Recht wurde dabei nicht zuletzt mit Symbolen und rituellen Handlungen zum Ausdruck gebracht; zugleich war das Recht wandelbar und konnte unterschiedlichen Bedürfnissen, auch der Untertanen, angepasst werden.
Ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert begannen die Adelsherrschaften, sich allmählich zu Territorien zu entwickeln, die sich nicht nur äußerlich voneinander abgrenzten, sondern sich auch innerlich konsolidierten. Dieser Prozess wurde zuerst in den großen geistlichen und weltlichen Fürstentümern vollzogen, ab dem 15. Jahrhundert auch in Grafschaften und reichsritterlichen Gebieten, wobei alle diese Territorien untereinander in Konkurrenz standen. Es kam in diesen Territorien zum Aufbau einer professionell arbeitenden Verwaltung, die nicht mehr in dem Maß durch Adlige geleitet wurde, sondern durch studierte Juristen, oftmals mit Doktortitel. Zugleich begann ein Prozess der Verschriftlichung von Verwaltungsakten. Dem kam auch die Tatsache zugute, dass im späten Mittelalter Papier zunehmend günstiger verfügbar war. Gleichzeitig wurde nunmehr verstärkt das römische Recht rezipiert und der Bestand dieses Rechts schriftlich festgehalten.
Dies bedeutete, dass an die Stelle des mündlich zwischen Obrigkeit und Untertanen ausgehandelten Gewohnheitsrechtes klar diktierte schriftliche Regelungen seitens der Herrschaft traten, die mit den Untertanen nicht mehr verhandelt wurden. Es kam somit zum Konflikt „zwischen dem genossenschaftlichen Volksrecht und dem obrigkeitlichen Herrschaftsrecht“.7 Dabei waren die Untertanen gleich in mehrfacher Hinsicht ins Hintertreffen geraten, denn sie verfügten weder über Papier noch über Schriftkenntnisse, um selbst zu lesen, was genau in den obrigkeitlichen Satzungen niedergeschrieben war. Auch war das römische Recht der bäuerlichen Bevölkerung gänzlich fremd. Folglich benötigte diese, wenn sie vor einem Gericht gegen ihre Obrigkeit klagen wollte, ebenfalls die Unterstützung von studierten Juristen. Diese kostete allerdings Geld und konnte leicht zur finanziellen Überforderung dörflicher Gemeinschaften im Konflikt mit ihrer Obrigkeit führen.
Gleichzeitig produzierte die Obrigkeit bzw. deren Kanzleien eine Vielzahl von Dokumenten, in denen sie die Rechtsverhältnisse – vor allem die Abgabenlast der Untertanen – festhielt. So entstanden neben Urbaren „nun vermehrt Zinsbücher, vielerlei Register, Kopialbücher, Protokolle und ähnliche Aufzeichnungen“.8 Zugleich wurde die Steuerschraube kräftig angezogen. So berichtet Bumiller über die Bestallung eines Beamten in der vorderösterreichischen Grafschaft Nellenburg, aus der deutlich wird, welch vielfältige Lasten der frühmoderne Territorialstaat nunmehr seinen Untertanen abforderte: „Auch soll er [der entsprechende Beamte] unsere Zinsen, Renten, Nutzen und Gülten, seien es Pfennigzinsen, Steuergeld, Zollgeld, Achtgeld, Strafgelder, Bußen, Steuern nach einem Todesfall, Wein, Getreide, Fisch, auch Fastnachthennen, Zinshühner und andere uns zustehende Nutzungen, nichts, was uns in unserem Amt Stockach und der Herrschaft Tengen zusteht, ausgenommen, fleißig einziehen.“9
Auch wurde die Höhe der zahlreichen Steuern aus Sicht der Bauern mehr oder weniger willkürlich festgelegt, was angesichts des geschilderten Rechtswandels nicht verwundert. Hinzu kam ein Weiteres: Ursprünglich war Bauer nicht gleich Bauer. Vielmehr hatten diese in oftmals sehr komplexen, in jedem Fall aber unterschiedlichen Untertänigkeitsverhältnissen gestanden. In zahlreichen Territorien wurden die Bauern nun in den Stand der Leibeigenschaft herabgedrückt, mit dem hohe, mitunter ruinöse Abgaben, insbesondere beim Tod des Bauern, einhergingen. Mit der Leibeigenschaft verbunden waren massive Einschränkungen der Freizügigkeit, ebenso bei einer potenziell angestrebten Verehelichung. Zuletzt wurde auch noch eine Reihe genossenschaftlicher Rechte der Dorfgemeinschaften bestritten, bspw. die Nutzung der Allmende. Genauso verloren die Bauern Rechte hinsichtlich Jagd und Fischerei oder auch das Recht, im Wald Bau- und Brennholz zu sammeln.
IV. Die zwölf Artikel und der Verfassungsentwurf Wendel Hiplers als programmatische Schriften der Bauern
Diesem Wandel der Rechtskultur stellten die Bauern in einer ganzen Reihe von Beschwerdeschriften die Forderung nach Rückkehr zum „guten alten Recht“ gegenüber. Am pointiertesten brachten die Bauern ihre Anliegen in den zwölf Artikeln zum Ausdruck, wobei sie in diesen – unter dem Einfluss reformatorischen Gedankenguts – sogar noch einen Schritt über die Forderung nach Rückkehr zu den vormaligen Rechtsverhältnissen hinausgingen und die bestehende Gesellschaftsordnung grundsätzlich in Frage stellten. Die zwölf Artikel wurden Anfang März 1525 auf einer Versammlung des Baltringer, See- und Allgäuer Haufens in der Stube der Kramerzunft in Memmingen beschlossen. Als Autor wird von der Forschung inzwischen einhellig der Kürschnergeselle und Laientheologe Sebastian Lotzer angesehen, der bereits in den vorangegangenen Jahren Teil der reformatorischen Bewegung in Memmingen um Stadtpfarrer Christoph Schappeler gewesen war und 1525 das Amt eines Feldschreibers des Baltringer Haufens versah.
In der Vorrede zu den zwölf Artikeln, die im Stil eines Briefes des Apostels Paulus verfasst war, bekannten sich die Bauern zu den Werten des Evangeliums Liebe, Friede, Geduld und Einigkeit. Zugleich wiesen sie die Behauptung, sie wollten sich gegen ihre Obrigkeit empören, als Verleumdung zurück und betonten nochmals, dass das Leben entsprechend den Geboten Jesu Christi Ausgangs- und Endpunkt ihrer Bestrebungen sei. Außerdem appellierten sie an Gott, den Armen und Unterdrückten zu Hilfe zu kommen.
Entsprechend dem mehrfach betonten Willen, allein nach dem Wort des Evangeliums handeln zu wollen, verlangten die Bauern, dass auch die Pfarrer das Wort Christi ohne jeden menschlichen Zusatz predigen sollten. Zugleich sollte die Gemeinde das Recht haben, den Pfarrer zu wählen, der entsprechend den Vorgaben der Bibel mit Hilfe des großen Zehnten entlohnt werden sollte. Sollte von diesem Zehnten etwas übrigbleiben, so sollte dieses in sozial-karikative Zwecke investiert werden.
Zentrale Bedeutung hatte vor allem der dritte Artikel, in dessen Rahmen die Abschaffung der Leibeigenschaft gefordert wurde, die mit drei Argumenten begründet wurde: So habe Gott alle Menschen gleich geschaffen, auch habe Christus sein Blut zur Vergebung der Sünden für alle Menschen gleichermaßen vergossen. Zudem sprach das Gebot der christlichen Nächstenliebe nach Überzeugung der Bauern gegen die Leibeigenschaft.
An diese grundsätzliche Forderung schlossen sich eine ganze Reihe konkreter Einzelanliegen an. So ging es u. a. um den Erhalt von Rechten der dörflichen Genossenschaften, wie bspw. die Nutzung der Allmende. Genauso forderten die Bauern die Rückgabe von Rechten im Hinblick auf die Nutzung des Waldes (das Recht, Bau- und Brennholz zu sammeln). Auch wünschten sie, das Recht auf freie Jagd und freien Fischfang wieder hergestellt zu sehen. Daneben sollte nach Überzeugung der Bauern die Abschaffung zahlreicher Abgaben – insbesondere im Todesfall – treten. Verschiedene weitere Zehntabgaben sollten genauso der Vergangenheit angehören, wie willkürlich festgesetzte Bußen bei Gericht. Frondienste sollten vermindert bzw. finanziell entlohnt werden.
Am Ende der zwölf Artikel brachten die Bauern ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass sie nur ein Recht zu akzeptieren bereit waren, das mit den Forderungen des Evangeliums in Einklang stehe – im Gegenzug seien sie bereit, auf ihre Forderungen zu verzichten, wenn sie anhand des Evangeliums widerlegt werden könnten. Nach den Vorstellungen der Bauern sollten ihre Forderungen auch nicht Juristen, sondern Theologen zur Prüfung vorgelegt werden. Jedoch hat sich Martin Luther gegen die Bauern gewandt. Denn er unterschied zwischen einem geistigen und einem weltlichen Reich und forderte Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit. Auch wollte Luther in seinen Schriften nur für eine geistige, nicht aber politische Freiheit eintreten.
In Verbindung mit den zwölf Artikeln, die – wie erwähnt – in hohen Auflagen gedruckt wurden und weite Verbreitung fanden, einigten sich die drei Bauernhaufen noch auf eine Bundesordnung der von ihnen ins Leben berufenen „Christlichen Vereinigung“. Auch diese Bundesordnung war von Sebastian Lotzer inspiriert und kann als genossenschaftliches Herrschaftsmodell charakterisiert werden, für das die Dorfordnungen im Allgäu, die Organisation von Landsknechtshaufen wie auch die Bauernrepubliken der Eidgenossenschaft als Vorbild gedient haben.
Die zwölf Artikel wurden von zahlreichen anderen Bauernhaufen aufgegriffen und in der Auseinandersetzung mit der jeweiligen lokalen Herrschaft den örtlichen Verhältnissen angepasst. So entstand bspw. unter dem Einfluss Wendel Hiplers die „Amorbacher Erklärung“, die das fränkische Gegenstück zu den zwölf Artikeln darstellte. Hipler war ursprünglich Kanzler des Hauses Hohenlohe gewesen und hatte in dieser Funktion wesentlichen Anteil am Ausbau des Hohenlohischen Territorialstaates. Bereits einige Jahre vor dem Bauernkrieg hatte er sich mit dem Haus Hohenlohe überworfen und war von diesem aus seinen Besitzungen verdrängt worden. Für Hipler war dies Anlass, sich als Feldschreiber in den Dienst des Odenwälder Haufens zu begeben. In dieser Funktion entwickelte er weitreichende Pläne für eine Organisation des Reiches unter Führung der Bauern. So strebte er die Schaffung einer Zentralkanzlei und eine Regierung der Bauern in Heilbronn an, die die Aktivitäten der Bauern in Schwaben, im Elsass, am Rhein und in Franken koordinieren sollte.
Auf Initiative Hiplers kam es am 12. Mai 1525 zum Zusammentritt eines Bauernparlaments, dem Hipler einen bereits sehr konkreten Verfassungsentwurf vorlegte. In diesem griff er zahlreiche Forderungen der zwölf Artikel auf; zugleich hatte sein Entwurf schon recht stark den Charakter eines Organisationsstatutes. So wurden u. a. die Durchführung der Reformation, die freie Pfarrerwahl und eine Verpflichtung der Pfarrer auf die Predigt des reinen und lauteren Evangeliums gefordert. Genauso wünschte Hipler die Gleichheit aller Menschen vor Gericht und die Ablösung von Bodenzinsen gegen den zwanzigfachen Jahresertrag. Auch sollten keine neuen Steuern erhoben und Steuern nur noch dem Kaiser gezahlt werden. Daneben trat der Wunsch nach Schaffung eines einheitlichen Zollgebietes innerhalb des Reiches sowie die Vereinheitlichung von Maßen, Münzen und Gewichten. Auch entwarf Hipler grob die Struktur einer künftigen Gerichtsverfassung, von einem obersten Reichsgericht an der Spitze bis hin zu 60 Freigerichten im lokalen bzw. regionalen Raum. Sein Verfassungsentwurf, der geistig im Grunde bis ins 19. Jahrhundert hinausgriff, beinhaltete zudem die Forderung nach Säkularisation geistlicher Güter, wie auch die Forderung nach Maßnahmen gegen Wucher.
Freilich konnten nach der Niederschlagung des Aufstandes weder die Pläne Lotzers noch Hiplers auch nur ansatzweise umgesetzt werden. Vielmehr standen am Ende des Bauernkrieges Unterwerfungsverträge, die vom siegreichen Adel diktiert wurden, der von seinen Untertanen erhebliche Entschädigungssummen forderte.
Entgegen der Meinung der älteren Forschung war damit jedoch noch nicht das Ende erreicht. Vielmehr kam es, wie Peter Blickle bspw. für das Fürststift Kempten nachgewiesen hat, zu weiteren Verträgen zwischen Obrigkeit und Bauern. In diesen vertraglichen Regelungen wurden den Bauern zumindest ein Stück weit Zugeständnisse gemacht; an die Stelle von zuvor willkürlich erhobenen Abgaben wurden für beide Seiten klar nachvollziehbare Rechte und Pflichten festgesetzt. Schließlich hatten dörfliche Gemeinschaften während der gesamten Frühen Neuzeit die Möglichkeit, vor den Reichsgerichten gegen ihre Obrigkeit – zum Teil durchaus mit Erfolg – rechtlich vorzugehen. Somit ist die These der älteren Forschung, die Bauern seien aus dem politischen Prozess vollständig ausgefallen, heute nicht mehr haltbar.
Literatur
Andermann, Kurt: Bäuerliches Recht und herrschaftliche Verdichtung in: ders./Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.), Bauernkrieg. Regionale und überregionale Aspekte einer sozialen Erhebung. Ostfildern: Thorbecke 2024, S. 45-64. (Kraichtaler Kolloquien; Bd. 14).
Blickle, Peter (Hrsg.): Der deutsche Bauernkrieg von 1525. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1985. (Wege der Forschung; Bd. 460).
Blickle, Peter: Der Bauernkrieg. Die Revolution des gemeinen Mannes. München: Beck 1998. (Beck’sche Reihe; 2103).
Blickle, Peter: Der Bauernjörg. Feldherr im Bauernkrieg. Georg Truchsess von Waldburg 1488-1531. München: Beck 2015.
Bumiller, Casimir: Der Bauernkrieg im Hegau 1524/25. Rekonstruktion einer revolutionären Bewegung. Meßkirch: Gmeiner 2024.
Buszello, Horst/Blickle, Peter/Endres, Rudolf (Hrsg.): Der deutsche Bauernkrieg. 3. Aufl. Paderborn u. a.: Schöningh 1995. (UTB; 1275).
Fischer, Stefan: Aufruhr im Allgäu. Kleine Geschichte des Bauernkrieges 1525. Regensburg: Pustet 2024.
Franz, Günther: Der deutsche Bauernkrieg. 10. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975.
Haus der Bayerischen Geschichte (Hrsg.): Projekt Freiheit – Memmingen 2025. Augsburg 2024 (HDBG Magazin; No. 13).
Kuhn, Elmar L./Blickle, Peter (Hrsg.): Der Bauernkrieg in Oberschwaben. Tübingen: Bibliotheca-Academica-Verl. 2000.
Maier, Ulrich: Der Bauernkrieg in Baden-Württemberg. Die beeindruckende Geschichte der Revolution von 1525. Tübingen: Silberburg 2024.
Stadtarchiv Memmingen (Hrsg.): Zwölf Artikel und Bundesordnung der Bauern, Flugschrift „An die versamlung gemayner pawerschafft“. Traktate aus dem Bauernkrieg von 1525. Übertragen von Christoph Engelhard. Memmingen 2000. (Materialien zur Memminger Stadtgeschichte; Reihe A, H. 2).
Zimmermann, Wilhelm: Allgemeine Geschichte des großen Bauernkrieges. Nach handschriftlichen und gedruckten Quellen. 3 Bde. Stuttgart: Köhler 1841-1843.
- Hier ist Casimir Bumiller zuzustimmen, der betont, es solle nicht von einer Reihe Anlässen und Ursachen, sondern vielmehr von Voraussetzungen gesprochen werden, die den Hintergrund für den Ausbruch des Aufstandes von 1525 bilden, vgl. Casimir Bumiller, Der Bauernkrieg im Hegau 1524/25, 2024, S. 19 f. ↩︎
- Bumiller (Fn. 1), S. 31. ↩︎
- Bumiller (Fn. 1), S. 31. ↩︎
- Vgl. Bumiller (Fn. 1), S. 42. ↩︎
- Kurt Andermann, Bäuerliches Recht und herrschaftliche Verdichtung, in: ders./Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.), Bauernkrieg, 2024, S. 45, 47. ↩︎
- Andermann (Fn. 5), S. 48. ↩︎
- Günther Franz, Bauernkrieg, 1975, S. 291; ebenso Andermann (Fn. 5), S. 48. ↩︎
- Andermann (Fn. 5), S. 49. ↩︎
- Bumiller (Fn. 1), S. 54. ↩︎
Zitiervorschlag: Michael Kitzing, Der große Bauernkrieg von 1524/25 – Verlauf, Hintergründe und kulturhistorische Einordnung, in: LAIKOS Journal Online 3 (2025) Ausg. 1, S. 7-12.